#28
Ihn zog es zum Sturm wie auch Ilara. Nur schien dieser Sturm für sie tödlich zu sein und sie innerlich zu zerfressen, da sie ihm einfach nichts entgegensetzen konnte. Das, was bei ihm nur oberflächlich geschah, zerfrass sie von innen heraus und drohte, sie in den nächsten Minuten zu töten. Bei lebendigem Leib schien sie zu verfallen. Auch ihre Gesichtszüge wurden fahler, die Haare, die sie so pflegte, trocken, störrisch, die Augen leerer und leerer. Zuerst begann ihre Sicht zu schwinden, danach klinkte sich das Gehör aus. Akustische Halluzinationen setzten ein. Stimmen, die sie lange nicht mehr gehört haben, begannen sie direkt anzusprechen. Regungslos verharrte sie, den Blick noch immer leer auf ihre Hände, die ihre Schwärze weiter ausbreiteten auf die Unterarme. Es ging langsam, aber innerlich schien sie bereits vollends eingenommen. Ihre Zehen innerhalb der kaputten Stiefel erfuhren das Gleiche, ihre Pupillen wurden grau. So war es also zu sterben… allerdings konnte sie das nicht lange so denken, da sie die Halluzinationen einnahmen. Sie hörte ihre Mutter. Sie war ganz nahe, irgendwo in der Gegend, redete leise mit ihrem neuen Ehemann über die Kinder. Wie wunderbar Jena doch sei, was sie gemacht hätte, dass sie kleine Blümchen gefunden hätte- sie fand ja immer solche wunderbaren Dinge- dass sie so klug sei und galant und dass sich schon so viele Männer für sie interessierten, auch sehr reiche! Dann würde sie nie wieder arbeiten müssen, und er, er auch nicht! Sie wären dann versorgt und alles gut. Wie gut war es doch, Jena zu haben! Ilara hörte es, war aber nicht beteiligt, fühlte im Moment keine Wut, was sie sonst getan hätte. Sie war leer… eine leere Hülle. Dann hörte sie leise Schritte. Ihre Schwester kam. Sie hatte einen sanften Gang, den man doch immer hörte. Sie grüssten sich, umarmten sich und assen zu Abend bis… „ILARA?“, rief ihre Mutter. Wieder einmal- vergessen. Es tat nicht mal weh, sie kannte es ja… aber sie regte sich nicht. So assen sie in der Küche weiter. Das Geschirr klapperte und sie redeten Belangloses. Und sie? Sie war alleine.. alleine. Nur langsam hörte sie, wie sich die Stimme ihrer Schwester näherte. „DU wirst nie genügen.. nie“, dann riss sie etwas aus ihrer sterbenden Trance.
Ein heisser Schmerz durchzuckte sie und schien ihre sterbenden Körperteile restlos zu versengen. Neben ihrer Verfaulung brannten sie nun auch. Ruckartig änderte sich ihre Augenfarbe von grau zu rot, überquoll fast, bis sie sich in einem rotstichigen Braun wiederfand. Sie starrte ihn an, wie er vor ihr sass, ihre Hände in seinen. Die Haut war trocken, fast wie Baumrinde. Sie starb nicht?! Verwirrt blinzelte sie einige Male, da Sand in ihre Augen kam, bis der pochende Schmerz immer stechender wurde. Langsam bemerkte sie den Ausdruck in seinem Gesicht und wollte sich zurückziehen, da der Schmerz von ihm kam. Ihre Haut begann sich zu schälen, wie von Säure angegriffen, bildete Blasen und zeigte dann wieder helle, reine Haut. Der Prozess ging langsam vor sich, mit jeder Sekunde wurde der Schmerz brennender und unerträglicher. Als sie sich zurückwerfen wollte fühlte sie, wie seine Krallen sich in ihr Fleisch bohrten. Es gab kein Entkommen. Sie wollte allerdings nichts, gar nichts, von ihm an- oder in sich haben! Noch, dass er ihr irgendwie half. Das bedeutete, sie musste ihm helfen, das bedeutete eine Verbindung und das, das wollte sie nicht! Er kniete vor ihr, während sie, den Kiefer zusammengepresst, dasass und versuchte keinen Laut von sich zu geben, was aber scheiterte. Ein leiser, flehender Laut des Schmerzes entkam ihr. Er reagierte nicht. Wieso auch? Nur einige Worte verliessen seinen Mund, die sie erst ordnen musste. Nicht mal sterben durfte sie?! Nicht mal dieses Privileg hatte sie? Am Ende zog sie ihm ihre Hände fast weg, wand den Blick ab und fühlte sich erniedrigt, vor allem, als er aufstand und ihr diese scheusslichen Dinger wieder entgegenstreckte. Sie kamen ihr richtig, richtig mies vor. Sie waren schuld an der Misere. Sie, die Macht, die hier herumschwirrte und niemals manifest wurde, sich nicht in Muskelkraft äusserte sondern in dem, was sie fast getötet hätte und ihn dem, was sie geheilt hatte! Ein Blick auf ihre Arme verriet, dass sogar ihre Narben geheilt worden waren. Ihre Haut war neu, weich, perfekt- zu perfekt fast.

Torkelnd erhob sie sich, fühlte ihren Kreislauf in Gang kommen. Du wirst nie genügen… flüsterte es in ihrem Kopf. Die Stimme ihrer Schwester liess immer wieder solche kleinen Sticheleien los. Energisch schüttelte sie den Kopf, aber die Stimmen blieben. Als sie die Artefakte in den Händen hielt, war erst Stille, ehe die Stimmen der Schwester und Mutter zu lachen begannen. Krampfhaft hielt sie sich an der Realität fest und starrte Vesperum an, der wie der Erzdämon aussah, der er nun mal war. Tot, lebendig, künstlich und so organisch- sie konnte es nicht einordnen. Ihre Kehle war trocken, als sie ihre Hände erneut besah, in denen nun die Artefakte wie zwei Steine lagen. Plump, grob, unförmig, viel zu schwer für ihren ausgezehrten Körper, der nicht mehr lange mitmachte.

Ilara? Nicht mal tragen kannst du… nicht mal ein Dienstmädchen bist du!“
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