#77
Alpträume. Nur mühsam und mit Aufwand verschwanden die Schlieren im eigenen Blick, setzten die Bildnisse der Realität wieder stückweise zusammen. Ein Sortierspiel. Sedrael landete sanft auf den Beinen, doch ihre Knie knickten ein und sie kippte vornüber, bis sie mit dem Gesicht keuchend im Staub lag. Die alte, trockene Erde Korribans wirbelte im Atem vor ihrem Gesicht auf, tänzelte dort in feinen Staubkörnern umher. Immer wieder aufs Neue, wenn die Luft aus ihrem Körper peitschte und neue Körner in die Luft blies. Sie blinzelte die Körner regungslos aus ihren Augen fort, die sich dorthin verirrt hatten. Atemzug um Atemzug. Der Geist Korribans war fort. Jedenfalls für jetzt. Ihre Pupillen verschoben sich um wenige Millimeter aufwärts, dorthin, wo der Sand an ihren Lidern klebte. Dann irgendwann schloss sie die Augen, wartete. Worauf wusste sie nicht. Vielleicht, dass sie wieder Kraft fand, etwas zumindest, genug um sich noch einmal aufzuraffen und nicht hier im Dreck liegenzubleiben und aus zahlreichen Schnittwunden auszubluten. Fetzen und einzelne Nähte ihrer purpurnen Robe flatterten im weiter abflauenden Wind auf ihrem sandigen Oberarm. Müde begann sie, ihre Atemzüge zu zählen. Zehn. Fünfzig. Die einzelnen Winde strichen über ihren Rücken, dort wo sie in den Schnitten in der Robe nach der Haut greifen konnten. Hin und wieder ein Brennen und Zucken, wenn die Körner in die Schnittwunden stachen. Erlösung, wie der Geist sagte? Vielleicht war es das ja. Hier einfach liegen zu bleiben und die Dinge eben ihren Lauf nehmen lassen. Es war leicht, so einfach und bequem und verführerisch. Der Duft von Kupfer und Wüste. Sie leckte das Blut von ihrer zerbissenen Lippe, spürte wie der Sand daraufhin zwischen ihren Zähnen knarzte. Am Ende… gab es schließlich keinen Tod, nur die Macht, nicht? Doch es waren nur Worte in diesem Moment. Erstaunlich leere Worte. Der Versuch, dem Ende noch etwas abzugewinnen, es süßer und angenehmer zu machen als es eigentlich war. Denn ein Ende war es – auf welche Art auch immer. Sie wollte aber nicht, dass es endete. Nicht nach allem. War es falsch für eine Jedi, am Leben zu hängen? Vielleicht. Und doch schien es so normal. Natürlich.

Eine Hand grub sich hinein in die Einöde vor ihr, erforschte den rauen Sand und kratzte mit den Fingernägeln an der tönernen Erde darunter, bis es knackte, ein Widerhaken, um sich festzukrallen und ihn als Anker zu benutzen. Langsam öffneten sich die Augen wieder, sahen zusammengekniffen in die Schlucht vor ihr. In verschiedene Realitäten. Ihr Zuhause, vor vielen Jahren. Wieder griff sie danach, in den blühenden Frühling Firrerres hinein, konnte diese vor sich spüren, fühlen, riechen. Als wäre sie da, hier und jetzt. Echt. Und in gewisser Weise war es das auch. Die Grashalme bückten sich um ihre gekrümmte Hand, genauso wie sie es sollten. Sie rupfte ein paar aus der Erde, einfach um sich zu vergewissern. Ächzend rollte sie sich vom Bauch auf den Rücken, spürte das Kitzeln des Grases in ihrem Nacken, während sie in den wolkenbehangenen Himmel ihrer Heimat starrte. Irgendwo in der Ferne Geschnatter von Kindern. Sie dachte an die Großen Fälle, die Mishalopen in den Bäumen, wie sie oben in den Ästen nach Nahrung suchten, die seltsamen Formen der firrerrischen Häuser. Alles war hier, wenn sie es hier haben wollte. Aber das Wissen, dass es nur hier war, weil sie es haben wollte, ließ das Spiegelbild irgendwann brechen. So echt sie sich anfühlten, so sehr waren Illusionen eben doch nur das. Das Gras verschwand wieder, zerbrochen, wurde verweht von der staubigen Brise, von der sie wusste, dass es die Realität war, die noch immer zählte. Das andere war da, in ihrem Kopf, in der Macht. Und vielleicht auch wirklich hier, zeitweise. Mühsam winkelte sie ein Bein an, verlagerte ihr Gewicht dann etwas darauf, bis es auf dem Oberschenkel war, dann stützte sie sich mit einer freien Hand auf den Boden ab, wuchtete sich so langsam auf das andere Bein. In der anderen Hand betrachtete sie die Grashalme, ihre Illusion, schloss die Hand schließlich um sie. Und dann waren auch sie fort. Dinge zu sehen, die es nicht gab, entweder nicht mehr oder noch nicht, war ihr nicht neu. Es war immer dieser Teil von ihr gewesen, sowie der Grund, warum am Ende ihr Meister ein Seher gewesen war. Doch etwas selbst zu schaffen? Das war neu - und es war beängstigend. Und zugleich… befriedigend? Unklar. Nichts, woran sie jetzt einen Gedanken verschwenden konnte oder wollte. Sie raffte sich auf, gegen das unbändige Verlangen, sich fallen zu lassen, Schritt für Schritt voran.

Vielleicht waren es Minuten, ehe sie wieder am Rastplatz des Vesperum ankam, vielleicht waren es auch Stunden. Sie hatte keinerlei Zeitgefühl mehr, funktionierte bloß noch, war nur dem Tunnel stoisch gefolgt, der immer enger zu werden schien, selbst als sich das Lager wieder aufzeigte. Stöhnend fiel sie neben der Versorgungskiste auf die Knie, eine zitternde Hand griff nach einer Flasche, verfehlte sie zunächst und erst nach mehreren Versuchen konnten krakelige Finger sie zu fassen bekommen. Bedenklich wackelte das Gefäß in ihrer Hand, ehe es klirrend zu Boden ging. Erneut die hilflosen Versuche, bis es wieder gelang, während sie es aufschraubte, anhob und sich das kalte Wasser ins Gesicht schüttete. Erst ab der Hälfte der Flasche kippte sie diese wieder in die andere Richtung und ließ die Erfrischung kurz auf sich einwirken, wischte sich Blut, Schmutz aus dem Gesicht. Erst dann trank sie mit großen Schlücken den Rest leer, ließ das leere Gefäß achtlos in den Staub fallen. Durchnässt saß sie eine Weile da, mit dem Rücken gegen die Kiste gelehnt und atmete einfach nur ein und aus. Irgendwann, ohne es wirklich bemerkt zu haben, hatte sie plötzlich einen Streifen Trockenfleisch aus der Ration in der Hand, an dem sie abwesend herumkaute, während sie die Schlucht entlangstarrte, versuchend, derweil nicht nachzudenken, was geschehen war. Es dauerte, ehe Sedrael aktiv etwas realisierte. Etwas Offensichtliches. Ihr starrer Blick wich mit einem Mal einem schnellen, verdutzten Blinzeln der Erkenntnis und streifte über das gesamte Lager.
„Reah?“, murmelte sie schmatzend und sah sich irritiert um. Doch nein, wieder war niemand da. Wie so oft. Ächzend hievte sie sich anhand der Versorgungskiste wieder langsam auf die Beine und schleppte sich vorwärts, erkundete Zelte und Winkel, die vorher nicht einzusehen waren. Aber selbst im Schatten, den die Frau immer so bereitwillig für sich einnahm, war dieses Mal nur Leere. Der große Schatten, das Ungezähmte, es war fort.
„Reah!“, rief sie wiederholt durch das Lager, eine Formel gleich einer Beschwörung, als könnten ihre Worte im Zauber Kreaturen herbeirufen, so sie es nur wünschte. Als die den Platz mehrfach umrundet hatte, blieb sie außer Atem wieder stehen. Ihre Wunden schmerzten noch immer, doch sie musste den Gedanken daran verwerfen, er sollte nicht mehr präsent, nicht relevant sein. Wo…. wo nur war die Frau hin? Sie konnte doch nicht einfach verschwinden, nach allem? Natürlich war die Sephi es selbst gewesen, die zuerst gegangen war – aber doch nur für einen Moment, um Abstand zu gewinnen von dem Monster, das in Reah entfacht worden war, von der Wildnis, die immer wieder nach außen drang und dennoch dann wieder sorgsam verpackt war. Oder war sie ebenfalls nur kurz fort? Sedrael wartete. Brütete minutenlang, zermarterte nervös ihren Fingernagel am linken Zeigefinger. Nein, Reah kam nicht wieder. Offensichtlich suchte sie bereits alleine das, wofür sie hier waren. Gefährlich, selbstmörderisch. Insbesondere mit dieser Heimsuchung, die hier war und jederzeit wieder auftauchen mochte. Die Sephi hatte keine Wahl. Sie machte ihre letzte Runde, blieb dann am noch geöffneten Medi-Kit vom letzten Mal stehen und blickte müde von oben herab hinein. Ein kurzer Überblick. Dann rammte sie sich einen Autoinjektor mit mittelstarkem Schmerzmittel durch die Haut im Oberschenkel, verdrehte dabei seufzend die Augen und klebte die Stelle rasch mit einem Pflaster ab. Kurz schüttelte sie den Kopf, bis das Aufputschmittel anschlug, packte noch zwei weitere Injektoren in ihre zerfledderte, aber noch funktionsfähige Tasche. Dann leerte sie rasch eine neue Flasche, stopfte sie sich einen weiteren Trockenstreifen in den Mund und ging den Weg weiter, jenen, der sie nicht dahin führte, aus dem sie gekommen war, sondern der sie weiter in Richtung der Finsternis, der Ruinen irgendwo in der Ferne bringen würde. Was mochte dort warten? Neuer Horror, vermutlich. Der Weg in den Schlund. Es schien Gewissheit zu sein, denn am Ende war nur das der logische Ort, an dem Reah sich aufhalten würde, an dem sie sie finden konnte. Sedrael blieb noch einmal stehen, sah etwas im Erdreich neben ihr liegen. Sie beugte sich hinab, biss sich auf die Zähne, als durch die Bewegung ihre zerschnittene Haut aneinanderrieb und für ein seltsames Gefühl sorgte. Aus dem trockenen, staubigen Boden griff sie nach dem spitzen Metallstecken, das Werk, das Reah letzte Nacht mitgeführt hatte. Nicht viel. Und dennoch mehr Begleiter als nichts. Die stumpfe Seite des provisorischen Stabs klopfte gegen den Boden, immer wieder, mit jedem behutsamen Schritt, der das noch unsichtbare, aber in der Ferne existierende dunkle Bauwerk schleichend näherkommen ließ.


→ nach: Tempel der Dunklen Seite (S. 5)
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