#75
Die Winde Korribans begannen zu peitschen, aus der Ferne zuerst, nur schnappend zunächst zu hören, erst irgendwann war das Geräusch hinter den spitzen Ohren zu nehmen, lauter, immer lauter. Sedrael konnte die Luft in ihren Händen greifen, sie nahezu festhalten mit ihren vom Blut verkrusteten Fingern. Sie betrachtete den Wirbelsturm in ihrer Hand, spürte, wie er gleichermaßen real und surreal war. Irgendetwas kreuzte sich dort in der Realität, die Macht vielleicht. Der Wind akzeptierte die Zähmung aber nicht, er wollte frei bleiben, unbändig. Nein, wisperte er, donnerte es immer wieder aufs Neue. Er wurde stärker, blies ihr ins Gesicht und ließ ihre Kleidung wallen. Plötzlich und unnatürlich. Sie verengte ihre Augen, hob eine Hand vor ihr Gesicht, um es vor dem Staub und den Winden schützen zu können, ein beinah aussichtsloses Unterfangen. Irgendwann war der Donner mehr als nur Worte, der Sturm mehr als Hauch in ihrer Hand. Worte wurden zu Sätzen. Mehrere. Eine Stimme bildete sich heraus, wie Raufaser, die am Inneren ihrer Haut schabte. Was redete die Stimme da? Alles… ja, alles daran war die Unwahrheit, gelogen. Nichts stimmte. Sedrael verstand den Sinn, ja den Anlass der Worte nicht. Wer konnte nur behaupten, sie entschied nicht? Welch törichte Anmaßung. Alles, was sie je getan hatte, hatte sie entschieden: Sie hatte entschieden, zur Jedi zu werden. Sie hatte entschieden, keine mehr sein zu wollen. Sie hatte entschieden, nach Firrerre zu gehen. Entschieden, mit Reah zu gehen. Wer sprach ihr nun den Glauben ab, dass sie nicht an die Macht der Entscheidung glaubte? Es war… verrückt. Irrgeleitetes Geschwätz, das auf sie einprasselte, unklar aus wessen verzerrten Geist es stammte. Nur weil Grund oder Ergebnis der Entscheidung womöglich nicht gefielen, so war es dennoch immer eine Entscheidung gewesen. Mal eine Fehlentscheidung, mal nicht. Aber wer nur eine bestimmte Entscheidung erzwingen wollte, erbrachte das Gegenteil von Entscheidung: Er wollte Zwang. Und nun also auch noch Feigheit? Feige wäre es gewesen, seine Werte zu verraten und dem Blutdurst des großen Krieges nachzugeben. Viel leichter und einfacher wäre es gewesen, sich einfach zu fügen und alles seinen Gang gehen zu lassen. Die Stimme hatte keine Ahnung, was sie das gekostet hatte, welche Überwindung dahinter gesteckt war. Und jetzt glaubte die Stimme, ihr dies vorhalten zu können? Feige war es, schwache Wesen zu knechten, die sich ohnehin nicht wehren konnten. Ihnen Willen aufzuzwingen, weil man mit ihrem Willen nicht umgehen konnte. Das war Feigheit, es war Schwäche.
„Wer bist du, über mich zu richten!“, rief sie in den Wind hinaus, den Vorwürfen entgegen, sie konfrontierend.

Doch anstelle einer Antwort peitschte der Wind knallend um ihren Körper, schlang sich darum und riss sie mit. Wie von einer mächtigen Woge erfasst, wurde sie durch die Luft gewirbelt, verlor binnen weniger Augenblicke völlig die Orientierung. Sinnlose Versuche, irgendwo noch Halt zu erlangen, scheiterten. In ihrem Kopf pochte es, bis sie für ein paar Sekunden nur noch Sterne vor Augen sah, ehe sie realisierte, dass es tatsächlich der echte Himmel war, der über ihr wachte. Zerrissene Gedankenfetzen reihten sich aneinander. Oder… war doch etwas Wahres daran? Vielleicht nicht so oberflächlich, wie es die Stimme versuchte darzustellen. Aber tiefer, irgendwo in sich selbst war da ein Saatgut des Zweifels. Ein spitzer Stein zerschnitt ihr die Handfläche, riss sie aus dem Gedanken. Sie schrie auf. Ein Blitzen, gleißendes Licht voller Schmerz, der sie durchzuckte. Der nächste Gedankensplitter, fortgetragen im dauernden Zwiespalt zwischen den Worten und ihrer Reaktion darauf, für die ihr nie Zeit blieb, ehe der nächste Stein einschlug. Der nächste Fetzen. Auch Passivität war eine Entscheidung. Es war immer noch ein Widerspruch, Entscheidung einzufordern, sie aber nur zu billigen, wenn sie einem gefiel. Es war die kalte Hand des Egoismus, die sich einem dann auf die Schulter legte, einen voranstieß, um einen das tun zu lassen, was er tun wollte. Aber eben auch nur das, während er sich freute an den Folgen, vorteilhaft nur für ihn, aber nicht für einen selbst. Ein weiterer Stein schnitt ihre Haut entzwei. Keuchend blieb ihr der Schrei im Halse stecken, ein Ton, der irgendwo in ihrem Körper eingesperrt blieb. Festgesetzt wie ein Geschwür, das dort kratzte und versuchte zu entkommen, es aber niemals schaffte. Der Sturm heulte seine Wörter, sein vorwurfsvolles Lied mit der Stimme eines Fingernagels, der eine glatte Oberfläche langsam und genüsslich laut zerkratzte, Schauer verursachte. Ein mordendes Monster? Taten sie dann beide dann nicht das Gleiche? Sedrael wusste jetzt bereits, dass dieses Wesen… dieses Nebelgeschöpf dort gewesen war, in ihrer Vision. Die Stimme war es. Sie war es. Ein grausamer Gedanke, ein unwirklicher und unmöglicher. Eigentlich konnte es nicht sein. Selbst in der fließenden Trennung der Real- und der Nachwelt im Fluss des Willens der Macht war nie von jemandem erdacht worden, dass noch Einfluss auf die Jetztzeit genommen werden konnte – es war ein unnatürlicher Zustand, der die Macht pervertierte, ihr den gewollten Abschluss nahm, indem sich etwas weigerte, in ihr aufzugehen. Es war ein abstoßendes, fauliges Gefühl, das sie dabei spürte, sich ekelerregend in ihr ausweitete, aber doch diese Wahrheit verkündete: Nein, es war leider nicht unmöglich. Und diese Stimme, der Feuernebel war mit bei dem Ritual des Schädels gewesen, in dem knochenzermahlende Asche das Leben anderer ausgehaucht hatte. Wenn Reah nur Leid brachte, brachte er nur Asche. Er war nicht besser, sie beide wussten es. Man musste es wissen. Es schien eigenartig, dass das Wesen ihr dies vorwarf. Ein merkwürdiger Widerspruch. Und dann, ein weiterer Stein in ihrer Haut, riss den Gedanken aus ihrem Körper und trug ihn hinaus in den Sturm, wo er unterging, die harte Oberfläche des felsigen Brockens brachte neue Wörter, neue Fragen mit sich. Nein. Sie wollte keine Blaupause. Es gab ohnehin niemanden, der ihr eine geben konnte. Niemanden, der eine solche hätte anfertigen können. Daher nutzte es auch nicht, nach einer zu suchen. Die Blaupause für jeden und alles war letztlich die Macht und das, was ihr Wille gebot – aber ob man selbst diesem zuwider oder zuträglich handelte, oblag nur einem selbst. Das kratzende Nebelgeschöpf weigerte sich selbst jetzt noch, der Macht Anerkennung zu bieten, sondern hielt sich noch immer hier, irgendwie. Und diese Person, sie glaubte, sie zu kennen? Sie verstand gar nichts. Sonst hätte sie gewusst, dass Sedrael ihrer Gefährtin weder diente noch half. Wenn sie sich den Fortgang der Ereignisse seit Firrerre anblickte, so konnte sie sich nicht an einen Moment erinnern, in dem ihre Anwesenheit der Inquisitorin in irgendeiner Form geholfen hätte. Die Frau hatte nie verlangt, dass sie etwas Bemerkenswertes für sie tat. Weder in die eine noch in die andere Richtung. Stattdessen war sie nun verloren auf einem einsamen Planeten, in einer schäbigen Wüste ohne Zukunft, welche sich daran klammerte, was hier einst gewesen sein mochte. Kein Dienen, kein Helfen. Es war niemals eines dieser Dinge gewesen. Weder von ihrer Seite noch von der der Hexe. Es war… etwas völlig anderes. Etwas, das der immer weiter komprimierende Nebel vor ihr – langsam eine Gestalt annehmend – niemals verstehen würde.

Die Steine zermarterten den Körper der Sephi weiter, mal oberflächlich, mal ein Aufreißen. Ihr Kopf sackte kurz herab, sah den staubigen Boden unter sich in erstaunlicher Entfernung, als schwebe sie hunderte Meter frei in der Luft. Illusion? Oder vielleicht war es wirklich so. Der Übergang war fließend. Die Gestalt vor ihr flimmerte halb durch den Sturm, bläulich wie ein frischer Eiskristall. Es war das Wesen, das sich lange angekündigt hatte. Sedraels Pupillen verschwanden wieder, das Weiß in ihren Augen begann zu funkeln. Zukunft. Gegenwart. Vergangenheit. Prismen funkelten und spalteten die Realität in verschiedene Bilder. Bilder vor ihrem Auge, rötliche gehörnte Kreaturen, die vor Personen in schwarzen Kutten knieten. Eine riesige Blockade um den Planeten, rote Streifen, die aus der Oberfläche auf die Welt krochen und sie in Staub und Krater verwandelten. Ihre zitternden Finger verzerrten das Bild immer wieder, verengte sich, als sie zuzupacken versuchte, knüllte sich wie ein Blatt Papier vor ihr zusammen. Sie blätterte im fiktiven Bilderalbum vor ihr, schwere Seiten, tausende Jahre alt. Aber der Sog des Prismas war stark, fing die unbenannten Erinnerungen vielleicht der Macht wieder ein und so sehr sie diese noch anfassen konnte, verschwanden sie immer weiter in der Ferne. Am Ende brannte ein Bruchstück besonders stark. Irgendwo in all den Facetten des Prismas war sie im Auge des Sturms, verängstigt, keuchend, wimmernd. Was... was geschah hier? Die Macht pochte in ihrer Stirn, drosch dort als Pauke immer wieder. Gefühl war aus all ihren Gliedern gewichen, die nur noch puppenhaft in der Luft lagen.
„Asko…“, winselte sie verzweifelt, immer und immer wieder, stammelte den Namen immer mehr, aber ihr Freund war schon ein Mal nicht gekommen und kam vermutlich auch niemals wieder. Schon gar nicht hierher. Und es war auch besser so. Stattdessen fand sie sich im Prisma nahe einem finsteren Geist wieder, der wenige Meter vor ihr mitten in der Luft schwebte. Was davon real war oder auch nicht, war unmöglich zu sagen. Ein Teil von allem vielleicht. Sedrael spuckte Blut aufgeschlagener Lippen aus dem Mund, der kupferne Geschmack blieb aber dennoch. Womöglich eine Folge des Steineregens oder sie hatte ihre Lippen einfach aus Unachtsamkeit selbst zerbissen. In ihrem Gesicht der pure Horror vor dem, was vor ihr passierte.
„Was ist das hier? Was... was willst du von mir, Geist?“, stotterte sie mühevoll hervor, erst Momente später, als sie ihre Stimme wieder gefunden hatte.
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