#56
Korriban.

Ein Name aus antiker Vergangenheit, aus Geschichten, welche man Kindern erzählte, um sie zu erschrecken. Ihnen begreiflich zu machen, dass da draußen, irgendwo, die Finsternis lag; dort von seinem Versteck aus auf den Rest der Galaxis blickte, immer wieder knorrige Finger ausstreckte und dabei zufrieden aus der Entfernung betrachtete, was es damit anrichtete. Korriban. Die Welt, an der sich Realität und Mythos schnitten, Hand in Hand gingen. Es war das große, verbotene Wunderland aus Geschichten, die man sich nur flüsternd des Nachts erzählte, damit niemand sonst sie hörte und niemand je herausfand, dass man darüber gesprochen hatte. Nachts mit seinen Freunden, gewärmt am Lagerfeuer vor der vereinnahmenden Dunkelheit, um der Schauergeschichte die richtige Atmosphäre zu verschaffen. Soll ich dir die Geschichte von Korriban erzählen?, fragte das Älteste das Jüngste. Die Geschichte von Sonnen und Schatten? Erinnerungen. Sedrael blickte mehrere Sekunden ziellos, abwesend in das Medi-Kit. Gute Erinnerungen eigentlich, doch die kalte Berührung des Windhauchs aus der Vergangenheit ließ sie in diesem Moment weitaus bitterer anfühlen als sie eigentlich waren. Alles schien unbeschwert gewesen, einfacher. Doch wie schnell war die Galaxis damals durch den Krieg aus den Fugen geraten. Einst war sie selbst dann das Älteste gewesen, hatte die beschäftigungslosen Jünglinge auch zu Beginn des Krieges noch nach Sonnenuntergang entführt. Ihre aus Menschensicht leichenblasse Haut schien den Geschichten im Schein des Feuers auch immer einen zusätzlichen Schauer zu verleihen. Ja. Auf eine Art war alles genauso wie jetzt gerade. Welch Ironie. Die Vergangenheit legte ihren Schleier ab, heulte nun nicht mehr als bloßes Schreckgespenst der Sephi ins Gesicht. Vom Mythos in die Realität. Nun sollte Sedrael wirklich selbst hier sein? Das war schwer zu glauben. Mehr noch, schwer zu verstehen. Verloren gedachte kindliche Neugier paarte sich mit Verunsicherung.

Was wusste sie davon? Nicht viel. Soweit Sedrael aus dem Jedi-Unterricht erfahren hatte, war Korriban der sagenumwobene Ort, an dem die vier Verbannten des Ordens vor Tausenden von Jahren zu den ersten Sith gereift waren – der Ursprung dessen, das die Galaxis seither regelmäßig heimsuchte und offenbar trotz aller Bemühungen nicht mehr aus dieser zu entfernen, womöglich sogar zum zwangsläufigen Teil davon geworden war. Die Frage mochte sein, ob die Verbannten sich hier auf dieser Welt nur ihren ohnehin bestehenden Dispositionen zügellos hingegeben hatten oder ob nicht selbst hier an diesem Ort korrumpiert worden waren. Die Macht wirkte stark und seltsam auf dieser Welt, nagend, stichelnd. Keine Spur von den sanften Wogen, in deren erfrischendes Nass man sich zurücklehnte und von der Strömung an sein eigenes Unterbewusstsein und das Millionen Anderer treiben ließ. Anstelle in der Verbindung mit der Macht Ruhe finden zu können, fand man darin nur den Zungenschlag des Irrsinns. Sedrael war nicht in der Lage, sich auszumalen, wie sehr es Person und Charakter brechen musste, wenn sich durchgehend die krallenbewehrten Finger des Abgrunds am eigenen Geist labten, mal stärker, mal weniger, doch beständig. Jeder würde dadurch zugrunde gerichtet werden, irgendwann. Die Sephi hob ihren Blick nur für einen Moment an, auf die Frau am Boden. Jeder.

Das machte nichts von dem ungeschehen, was passiert war. Sedrael hatte Firrerre nicht vergessen. Verdrängt vielleicht, doch nicht vergessen. Es würde ein Bild für die Ewigkeit bleiben, die eigene, ohnehin schon gebeutelte Heimat brennen zu sehen. Die Erwähnung ihres Planeten durch seine Mörderin rang ihr keine Reaktion ab, zumindest keine gezielte. Sedrael spürte, wie ihre Haut zu schimmern begann, als ihr Körper ihr den Dienst dabei versagte, um etwas zu kaschieren, das noch immer eine offene Wunde war, nicht weniger als die körperlichen Wunden, die die Inquisitorin derzeit mit sich führte. Vielleicht im schwachen Licht des Feuer nur schwerlich erkennbar, dennoch ärgerte sie dieser kleine Moment, der sie dazu veranlasste, weiter im Medi-Kit zu sortieren, schließlich Steri-Streifen, eine Dose Bacta-Salbe daraus entnahm. Während die Inquisitorin zu erklären begann, schüttete sich Sedrael sparsam etwas Wasser aus der Trinkflasche in eine Hand, verteilte es dann zum Auswaschen auf beide Hände und sprühte anschließend Desinfektionsspray auf die feuchten Hände. Still, grimmig setzte sie sich mit den Utensilien dann neben die sprechende Hexe, unterließ es dabei jedoch, die Frau anzublicken. Ein sanfter Biss auf die Unterlippe verkniff die Frage, die sich ihr schon so lange stellte. Die Frage nach Firrerre. Sie rückte näher. Doch noch war sie nicht da. Stattdessen nahm sie sich der Wunde am Arm der Frau an, nahm den Arm mit einer Hand, schloss die Augen und führte die andere nur ein paar Zentimeter über die Wunde. Die Wunde sang ihr wehklagendes Lied, das Lied eines wahrlich sauberen Schnitts. Offenkundig jedoch keiner aus der leicht erkennbaren Feder eines Lichtschwertes, da es hierfür an einer Kauterisierung der Wunde fehlte, was für eine gewisse Expertise des Trägers sprach. Die Wunde schien weiterhin etwas älter als die übrigen zu sein, wenn auch nicht viel. Mit entsprechender Ausrüstung hätte sie zur Überprüfung vermutlich die Nähte entfernen und das freigelegte Fleisch untersuchen müssen, aber mangels medizinischer Möglichkeiten war das Öffnen hier keine Option, ohne massive Infektionen in der Folge zu riskieren. Soweit sie das sagen konnte, schien der Eingriff rasch und behelfsmäßig durchgeführt worden zu sein, ließ aber keinen Zweifel daran, dass ihn ein Arzt vorgenommen hatte – vermutlich war die Wunde also nicht hier auf diesem verlassenen Planeten, sondern in entsprechender Umgebung fachgerecht behandelt worden. Insoweit schien es sicherer, es für den Moment so zu belassen. Die kleineren Wunden, die gerade erst zu heilen begonnen hatten, wusch Sedrael mit dem Trinkwasser aus der Flasche aus – nicht die beste Option, da sie nicht beurteilen konnte, wie sauber dieses Wasser war, aber da das Wasser frisch aus einer imperialen Versorgungseinheit stammte und alles im Imperium geradezu klinisch rein gewesen war, schien das Risiko durch Infektionen hierdurch weitaus geringer als das Risiko, das durch die hiesige Umgebung hervorgerufen wurde. Anschließend gab sie etwas Bactasalbe auf die Wunden, ließ diese einige Zeit auf den Schnitten, Rissen der Haut einwirken, und fixierte dann die Wundschließung mithilfe der dünnen Steri-Streifen. Die Erläuterungen der Hexe nahm Sedrael so hin. Zumindest erklärte sich die Existenz der roten Frau so, deren Anwesenheit die Sephi bisher nicht hatte einsortieren können. Allerdings passte die Aussage der Inquisitorin nicht unbedingt gut zu der Tatsache, dass die Frau vom Geheimdienst von Sedrael den Ort der Jedi-Niederlassung hatte erfahren wollen. Andererseits waren Geheimdienste immer an einer Vielzahl von Informationen interessiert. Auf der anderen Seite mochte das die Anwesenheit von Reah erklären – ihre eigene dagegen nicht. Wirklich vollständig überzeugend erschien die Antwort daher nicht, wobei unklar schien, ob die Inquisitorin davon selbst überzeugt war oder nicht. Skeptisch betrachtete sie eine deutlich erkennbare Wunde an der Schläfe ihrer Patientin aus der Nähe, offenbar eine Platzwunde durch einen gezielten Schlag, die ebenfalls genäht worden war, inzwischen aber auch schon etwas besser am Verheilen war. Für eine Kühlung war es daher schon zu spät, der Bluterguss hatte sich bereits ausgebreitet und eine mutmaßlich schmerzhafte Schwellung verursacht. Das war jedoch vielleicht nicht einmal das größte Problem.
„Kopfschmerzen?“, fragte sie schließlich in die Worte der Frau hinein, während sie sich zur Seite beugte, eine kleine Lampe aus dem Kit hervornahm und kurz die Pupillenreaktion überprüfte, die allerdings keine Auffälligkeiten ergab. Zwar kein wirkliches Indiz für eine fehlende Gehirnerschütterung, doch immerhin. Sedrael hob ihre linke Hand und fasste kurz von oben und unten an die Schläfe der Inquisitorin, eine wärmende, pulsierende Bewegung, körperlich wie auch in der Macht, die Schwellung im Inneren streichelnd, massierend. Der warme Stausee des Blutes floss noch immer nicht in seiner gewohnten Bahn, blockiert, doch zumindest etwas erleichter. Vielleicht hätte sie auch andere der Wunden noch besser mithilfe der Macht versorgen können, doch da sie nicht wusste, wie lange sie hier wohl sein würde, schien es bereits jetzt ratsam, Kräfte sparsam einzusetzen. Die Heilung dank der Macht war für sie selbst immer anstrengend, belastend, daher sollte es die Ausnahme bleiben. Und vielleicht wollte auch ein bestimmter Teil von ihr, dass diese Frau noch eine Weile an ihren Verletzungen zu nagen hatte.

Sedrael entfernte ihre Hand schließlich wieder vom Gesicht der Frau, setzte sich langsam auf und packte den Rest der Utensilien wieder zurück in das Medi-Kit. Sie setzte sich neben dem Kit auf die Versorgungskiste, im sicheren Abstand vor der flammenumsponnenen Frau am Boden, die dort vermeintlich harmlos lag und nur im Schattenspiel das Gesicht des dornenreichen Monsters zeigte, das in ihr schlummerte und irgendwann wieder erwachen mochte.
„Doch wenn wir es finden, macht es das nicht ebenso gefährlich?“, erwiderte sie der Erklärung schlussendlich, fast rhetorisch. Das Ziel war offenbar ein Fundus eines korrumpierendes Giftes, das eine schwache Person in ein Monster verwandelt hatte. Wenn etwas jemanden bereits zum Monster gemacht hatte, vermochte es dies auch mit anderen. Wer wusste schon, welches Gift sie dort erwartete. Wen es befallen konnte und welche Auswirkungen auf ihren Körper und Geist besaß. Vielleicht war einer anfälliger als andere, aber konnte es wirklich Lösung bieten, gleichsam andere diesem Wahnsinn auszusetzen, der offenbar schon einmal eine Person völlig verzehrt hatte? Am Ende konnte es auch zur Schaffung der zweiköpfigen Bestie aus zwei verirrten Seelen werden, die nun nicht mehr einsam schien, sondern Seite an Seite in Verbindung mit einem anderen aufging. Der Mann, der hier bereits gefallen war und die Frau, die nun seiner Spur folgte. Sedrael vermutete nicht, dass das Gift ihr ein Angebot machen konnte, das ihr einen Wert bot, aber bei ihrer Begleiterin schien ihr dies nicht so klar. Möglicherweise fanden sie also nicht die ersuchte Lösung, sondern brachten vielmehr ein weiteres Monster in die Galaxis. Und vielleicht war es auch eine weitaus weniger bewusste Entscheidung als ihr selbst überhaupt klar war. Womöglich entschied man nicht – sondern wurde einfach. Doch um die Bestie zu begreifen, war Wissen und Verstehen auch notwendig; ein schmaler Grat auf der maroden Brücke über dem Abgrund. Sie mochten erkennen, was auf der anderen Seite lag oder bei dem Versuch beide den Halt verlieren. Ein Risiko, das sich nicht abschätzen ließ. Irgendwann konnte die Macht auf diese Entscheidung eine Antwort liefern, einen Wink des Schicksals, ob es ihr Weg sein sollte oder nicht. Sedrael hatte kein gutes Gefühl – aber ein solches wäre auf einem Planeten wie diesem auch kaum denkbar gewesen.

„Ich... weiß es nicht. Die Person kam mir nie nahe“, entgegnete sie dann langsam, nach kurzer Verzögerung, etwas irritiert von den letzten Fragen der Inquisitorin. Ein Mann? Sedrael konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob es sich wirklich um einen Mann gehandelt hatte, dafür war die Entfernung letztlich immer zu groß gewesen. Sie schüttelte den Kopf. Noch überraschender war die Frage nach einem Lichtschwert gewesen. Mit der Wunde konnte das nichts zu tun haben. Die gesamte Reaktion schien weitaus zielgerichteter und fixierter als die Erwähnung Sedraels selbst. So als wisse die Inquisitorin in der Tat mehr als es den Anschein hatte.
„Sie trug schwarz, einen Anzug, glaube ich. Aber ich bin mir sicher, einen Blaster in den Händen erkannt zu haben. Ein Lichtschwert konnte ich nicht entdecken.“
Eine ihrer Hände hob sich und deutet auf eine große Felsenkette, die stufenweise bis zum Horizont reichte.
„Die Person tauchte immer wieder oben an den Felsen auf. Ich habe ihr ein Mal zugerufen, aber dann ist sie verschwunden. Vielleicht versteht sie mich nicht.“
Sedrael hatte zunächst vermutet, dass der Person womöglich das Basislager hier gehörte, aber da sie die Gestalt bereits im Wüstensturm gesehen hatte und nicht erst hier, schien das nicht unbedingt naheliegend.
„Allerdings kann ich nicht sagen, dass sie aggressiv wirkte. Ich habe eher den Eindruck, sie beobachtet mich nur.“
Zumindest... für den Moment.
Offline
Zitieren
 


Nachrichten in diesem Thema