#32
Das Ende der elektrisierenden Berührung machte Sedrael nachdenklich. Optisch hatte sie sich einen Schritt von der Frau entfernt, aber gefühlsmäßig spürte sie, dass das innerlich keineswegs der Fall war. Das Eintauchen in etwas Neues, Unbekanntes war letztlich immer lehrreich, erweiterte den Horizont und konnte dabei helfen, dem Ungewissen auf den Grund zu gehen. Konnte diese Frau ihr Antworten liefern über Dinge, die Sedrael selbst nicht verstand? Ein Teil der Sephi vermutete das, stark sogar. Alles war eine Sache der Perspektive und sie konnte nicht abstreiten, dass die ihre eingeschränkt und eindimensional war. Und doch war das Ganze gefährlich. Man konnte sich verlieren in der starken Strömung, den Anschluss an die Realität verpassen. Ganz gleich, welche Antworten ihr geliefert werden konnten, das konnte das Risiko letztlich nicht wert sein. Oder etwa doch? Sedrael blinzelte einige Male, doch die Macht schien in diesem Moment verstummt zu sein. Keine Anleitung, fast als hätte sie in diesem Moment aufgehört zu existieren und forderte ein, dass Sedrael hier und jetzt eine freie Entscheidung traf. Etwas, das die Sephi – wenn sie darüber nachdachte – eigentlich nur selten bewusst getan hatte. Sie war eben zurückgewichen, als es ihr zu viel geworden war, zu viel, um es in so kurzer Zeit verarbeiten oder begreifen zu können. Plötzlich spürte sie, wie sich ihr Brustkorb immer noch hektisch anhob und wieder senkte. Fast schien sie außer Atem zu sein, mehr als zuvor. Doch nun war ihr direkt warm, als die Kälte in ihrem Inneren erstickt war, von ihrem inneren Bedürfnis, diese Kälte zu sezieren und im Kleinen zu erforschen. Sedraels Haut normalisierte sich in schleichender Weise wieder zu ihrer üblichen hellgrauen Farbe.

Die Frau wollte Hilfe? Sie war mit Soldaten gekommen, hatte zweifelsohne gemordet, Sedrael mit dem Schwert und mit Arrest gedroht. Sie hatte Soldaten auf Quel-Tuus gehetzt. Ihr konnte nicht an einer üblichen Art von Hilfe gelegen sein. Diese Art der Hilfe, die Sedrael hätte anbieten können, konnte man nicht erzwingen. Man bat um sie – und sie wurde gewährt. Doch diese Frau bat nicht, jedenfalls nicht direkt. Das Wort war zwar nur ein Hauch von der Kraft und der Dominanz, die ihre Gegenüber zu Beginn des Gesprächs ausgestrahlt hatte, aber ein Volk in Geiselhaft zu nehmen, um Hilfe zu erlangen, entbehrte Sedraels Verständnis. Trotzdem, letztlich war es nur kohärent zu dem, was sie eben im Kontakt mit dieser Frau erlebt hatte. Es war die pervertierte Form des Rufs nach Aufmerksamkeit. Vielleicht nicht unbedingt nach Zuneigung, das war zu weit gegriffen, aber doch ein Verlangen danach, nicht ignoriert zu werden. Irgendeinen Teil ihres Menschseins hatte die Person noch nicht verloren, vielleicht würde es auf ewig bei ihr sein und an ihr nagen, in manchen Momenten. Die Frage war, ob das aber überhaupt eine Rolle spielte. Die Gier, die ausgestreckte, sterbende Hand, die nach ihr griff, um noch einmal zu kosten, bot nicht unbedingt das Bild einer Suchenden, sondern einer Fordernden. Nach einer Weile brachte die dunkle Frau Sedraels Schwert in ihren Besitz. Interessiert betrachtete sie es, berührte die feinen Formen des Griffs. Schließlich streckte sie Sedrael das Schwert entgegen. Eine… Einladung? Mit großen Augen sah die Sephi ihr Schwert an. Sie könnte den Schatten im Imperium besiegen, wurde ihr verkündet. Welche Art von Schatten mochte das überhaupt sein? Wovon ging er wohl aus, das sie es würde eindämmen können? Ein Gefühl durchströmte plötzlich ihren Körper, eine Art Warnung. Womöglich ein Warnung, nicht das Falsche zu tun. Doch es war nur schwerlich feststellbar, was nun das Richtige und was das Falsche war.

Sedrael sah noch immer auf den Griff des Schwerts, das ihr als Akzeptieren des Schicksals dargeboten wurde. Ihr Blick hob sich schließlich einen Moment lang in die Fratze der dunklen Seite, die zu ihr herabblickte, Hilfe fordernd. Vielleicht konnte sie wirklich im Kleinen etwas tun und vielleicht war es an der Zeit, wieder hervorzutreten und die Jahre des Exils hinter sich zu lassen. Die entbehrungsreichen Jahre, die Abgeschiedenheit und Isoliertheit hatten genagt, hatten sie bereits verändert. Es war keine schöne Zeit gewesen, die ihr ihre Bestimmung als Jedi in diesen letzten Jahren beschert hatte und nicht selten hatte sie sich in den Jahren gewünscht, niemals von diesen entdeckt worden zu sein und lediglich ein einfacheres Leben hier auf Firrerre gelebt zu haben. Doch wenn sie sich umsah, hätte ihr das vermutlich nur mehr Tod und Verderben beschert. Ironischerweise war es wohl doch ein persönlicher Glücksfall gewesen, dass die Jedi sie vor der Seuche fortgeschafft hatten, so dass sie die Chance erlangt hatte zu überleben. Ja, irgendwie würde ihr Schicksal doch immer mit den Jedi verwoben bleiben, auch nach ihrer Abkehr von dem Orden. Sedrael blickte kurz über die trostlose, dunkle, tote Oberfläche ihrer Heimatwelt. Der Schatten war nicht nur im Imperium, er war hier. Allgegenwärtig. Sie sah es eigentlich nicht als ihre Aufgabe an, den Schatten zu bekämpfen. Die Macht war es, die solche Aufgaben vergab und letztlich Zeit und Ort festlegte, wann und wo der Schatten wieder eingedämmt wurde, der derzeit die Galaxis heimsuchte. Licht und Dunkelheit waren die Essenz des Lebens. Doch die Reinigung durfte nicht zu früh einsetzen, so dass die Läuterung der Galaxis nicht zu schwach ausfiel. Erst wenn die Macht das Unrecht lange Zeit mit dem Schatten gesühnt und der Bevölkerung den Spiegel vorgehalten hatte, war es wieder Zeit für das Licht im Großen. Erst dann konnte man es wieder wertschätzen, sich daran erfreuen. Nur wenn das Gute ausreichend über das Schlechte definiert war, würde es zu dem breiten Konsens gelangen, der notwendig war. Und wenn dafür ein mörderisches Terrorregime in der Galaxis wüten musste, um dieses eine Ziel zu erreichen, dann war das tragisch, zweifellos bedauerlich, aber notwendig. Diese Entscheidung würde nicht sie treffen, auch nicht ihre Gegenüber. Nur die säuselnde Stimme der Macht konnte dieses Schicksal bestimmen.

„Ich brauche den Schatten nicht aufhalten. Sein Einfluss wird schwinden, früher oder später. Aber erst, wenn er seine Aufgabe erfüllt hat, erst, wenn die Zeit reif ist“, widersprach Sedraels melodische Stimme ohne Arroganz oder Tadel. Nein, es war einfach wie ein Fakt, der von jedem allgemein akzeptiert wurde. Überraschend hob sich dennoch ihre Hand, umfasste die ihr entgegengestreckte untere Hälfte ihres Schwertes, wobei sie jedoch sorgsam darauf achtete, die Hand der Frau dabei nicht zu berühren.
„Doch vielleicht können wir voneinander profitieren. Vielleicht können wir die Siegel brechen, an denen wir zerren.“
Im ersten Moment überraschte Sedrael selbst, dass das in ihren eigenen spitzen Ohren relativ egoistisch klang. Es ging ihr dabei nicht um die Galaxis, es ging ihr nur um die Philosophie der Macht, um Antworten, nach denen sie suchte. Sie beide hatten ihre eigenen Vorstellungen, ihren ganz eigenen Bezug zur Macht und konnten dem Anderen solche Perspektiven eröffnen, die sie vorher nicht gehabt hatten. Fortschritt durch Vielfalt. Sedrael hatte lange Jahre erfolglos versucht, die Stimme der Macht alleine zu interpretieren. Sie war schlichtweg nicht gut genug ausgebildet gewesen, um darin Erfolg zu haben. Wenn Quel-Tuus ihr diese Perspektive nicht bieten konnte, so musste es vielleicht doch etwas anderes sein, etwas Neues. Nichts, in das sie so weit eintauchen würde, um den Raben auch an ihren Schultern fressen zu lassen, nur so weit, wie es ihre Kontrolle zuließ. Sie brauchte irgendeinen Schritt, der sie weiterbrachte, egal, in welcher Richtung er lag. Wer sonst hätte ihr den nächsten Schritt zeigen können? Die Jedi waren ausgelöscht, vergessen. Womöglich war sie inzwischen die Letzte ihrer Art. Die Sephi zog leicht an ihrem Schwert und die Frau gab es frei, so dass sich das Gewicht des Metallgriffs bald vollständig in Sedraels Hand legte. Sie wog es kurz in ihrer Hand. Nein, es war wirklich noch nicht an der Zeit, es zurückzulassen.
„Werdet Ihr mein Volk leben lassen?“, fragte sie schließlich ernst, vielleicht aber sogar ein Stück traurig, so als kenne sie die Antwort bereits. Der finstere Wunsch nach Auslöschung, den sie in der Berührung erfühlt hatte, konnte einerseits das allgemeine blutige Mahl sein, das die Dunkelheit immer wieder von ihrem Wirt einforderte, ließ sich aber auch als ein speziell gehegter Wunsch, als konkret gefasster Plan begreifen.
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