#16

Spielleiter


Wie in Trance war der junge Polizist, der den Gleiter durch die Luft bewegte; den Blick steif zur Front hinaus. Sein Name spielte keine Rolle, wie die Namen seiner Opfer auch nie eine Rolle gespielt hatten; es war ihm immer egal gewesen, einfach irgendwie leben, in einer Zeit von System und Ordnung. Ein bisschen Glück für sich erarbeiten, wenn es auch manchmal bitter war. Sein Leben verlief nie immer rund, doch immer gerade auf diesen Moment zu; indem er sich verlor. Diese steife Monotonie eines Dienstes, der nur Schwarz oder Weiß kannte. Keine echten Farben. Keine Emotion, nur Paragraphen. Es war so einfach, weg zu sehen, wenn die Paragraphen und Vorschriften bereits Garde standen. Liebte er das Leben? Sicherlich, wie jeder andere. Er wollte leben, ein echtes Leben voll Liebe, Zuneigung und Freiheit. Einfach sein. Doch dies war nicht mehr der Fall. Jede Schicht, jede Überstunde, nahm ihm Leben, wie auch seiner Familie. Der Offizier neben ihm, kannte diese Emotion nur zu gut, doch hatte nie ein Problem darin gefunden oder etwa doch? Er schlug seine Frau, verprügelte sie jeden Tag, stellvertretend für seine Frustration, seine Unfähigkeit, mit sich umzugehen. Zu vergessen. Oft hatten die beiden gesprochen, im Fahrzeug, bei einem Pausen-Kaf, oder schlicht bei einem Moment in der Direktion. Es war keine Freundschaft, dafür wollten sie sich zu wenig kennen, da sie sich selbst an den Dienst erinnerten; einen Dienst, den man privat zu vergessen suchte. Doch war dort auch niemand anderes, außer den Kollegen. Man war längst entwurzelt von dieser Gesellschaft, die man einst schützen wollte. Die Familie verstand nicht. Die Freunde wollten nicht verstehen und gingen. Was blieb, war der tägliche Dienstbeginn, die traurige Freizeit vor dem Holo-Computer oder dem Feierabendale in der Stammkneipe, allein mit sich. Ihre Liebe war echt und so begehrten sie jedweden Moment voller Lust, der nicht mehr kommen würde. Wie ein leises Klavier spielte man den Abgesang auf ihre Leben, in Paragraphen, Gewalt und Monotonie.

Der junge Beamte wagte einen Blick zur Seite, sich aus seiner Trance heraus; den Gedanken zu befreien. Unten ihnen zog die Stadt vorbei, Gleiter, Laternen, beleuchtete Gebäude und viele Lebewesen, die alltäglich ihre Kreise zogen. Was ging dem, gerade mal 21 Jahre alten Mann, durch den Kopf? Das Dienstende. Er wollte nach Hause, zu sich, zu seiner Freundin, die mal wieder auf ihn wartete und er würde wieder einmal später kommen. Dabei hatte er ihr versprochen, sie noch einmal auszuführen; in ein nobles Restaurant. Wieder einmal würde dies nicht geschehen. Sorgen mischten sich in seine Miene. Auch diese Beziehung würde brechen. Sicherlich bald. Wieder ein Versuch, der nicht den gewünschten Effekt gebracht hatte. Der Blick wanderte zu seinem Vorgesetzten. "15 Minuten bis Eintreffen," meldete er gelangweilt, abweisend kalt und wandte sich dann dem Schubregler mit seiner Rechten zu. Der Offizier griff ins Handschuhfach des Gleiters, das er mit einem leisen Knacken geöffnet hatte. Er zog eine Art Dose hervor, öffnete diese und trank einen kräftigen Schluck Limonade. Völlig Beiläufung war diese Tatsache, da es ihm auch scheinbar egal war, was sie vor eine Fracht transportierten. Dehumanisierung nannten Experten diesen Effekt. Man stellte sich die zu bearbeitenden Fälle als Objekte vor und so bezeichnete das Imperium solche Personen auch immer als Störobjekt im sozialen Rahmen. Diese Störfaktoren wurden entsprechend entfernt, um die Funktion des Verwaltungsapparates sicherzustellen.

Plötzlich war diese Langeweile durchbrochen, als der Funk sich aktivierte und die KOM-Anlage folgende Meldung ins Fahrzeug plärrte: "Unruhen in Sektor Blau. Schwere Ausschreitungen nach Strafgesetzbuch 182n; ziviler Ungehorsam. Beamte vor Ort. Alle verfügbaren Einheiten sofort dort einfinden. Aufstandsbekämpfungsmaßnahmen nach Linie Gelb einleiten. Zielort: Weelak-Straße; Sammelstelle."

Die beiden Beamten schauten sich spontan an, wobei der Lieutenant sichtlich nervös wirkte. Er griff zum KOM und sprach nüchtern aber dennoch hektisch: "Einheit 1891 hat verstanden. Wir nehmen Einsatzbefehl an." Dann wendete der Pilot des Gleiters, seiner Gedanken entrissen das Gefährt in Richtung, aus der sie gekommen waren. Schnell kamen die Unruhen ins Sichtfeld. Beide Männer waren im Hier sowie Jetzt angekommen. Sofort schaltete sich der Drille ein. Befehl und Gehorsam. Reine Funktion. Keine Fragen. Es war, wie ein Albtraum, in den sie sich freiwillig begaben und der nun ihre Marionetteriemchen spielte.

Brennende Straßenzüge, als auch zerstörte Gleiter, deren Scheiben zerschlagen waren, aufrückende Polizeiketten in drastischer RIOT-Uniform (grobschlächtige Körperpanzerung mit großen Helmvisieren), sogar eine Polizeigleiter, die den Luftraum absicherten mit großen hellblauen Flutlichtern und Warnanlagen. Sirenen hämmerten sich in die Schädel. Auch der Pilot dieses Fahrzeugs aktivierte seine Warnanlage sowie die Sirene. Das kreischende Heulen erhellte den Wagen, durch die Stahlwände verdumpft. Der Lieutenant setzte seinen Helm auf, schloss das Visier, und half seinem Kameradene ebenso den Helm aufzusetzen, da dieser mit den Flugkontrollen beschäftigt war. Dann stürzte der Gleiter aus dem Himmel hinab, direkt über das Gefahrengebiet. Mit einer eleganten Geschwindigkeit, drängte er sich über die Mengen, die auf die Abwehrketten der ISF zustürmten. Diese Aufrührer und Plünderer, Widerständler gegen die imperiale Ordnung, hatten sich mit Stöcken, Steinen und Rohren bewaffnet, um gegen die verhassten Sicherheitskräfte vorzugehen. Auch CorSec war bereits eingetroffen, sammelte sich hinter den ISF-Ketten, um diese mit Betäubungswaffen zu unterstützen. Doch wer das Imperium kannte, würde wissen, dass das der Staat schnell auf radikale Maßnahmen umschalten würde, da er Widerstand absolut nicht tolerieren konnte. Ein Widerstand gegen das Imperium, bedeutete in der imperialen Doktrin, der glorreich-falschen Ideologie, ein Widerstand gegen die imperialen Völker und wurde als kriegerischer Akt, gar Terrorismus gewertet. Ein Angriff auf einen Soldaten oder Ordnungshüter stellte immer einen terroristischen Akt dar und konnte nach Ermessen der lokalen Behörden mit sofortiger Exekution bestraft werden.

Es passierte. Die Wütenden, Enttäuschten und Armen erhoben sich gegen die Macht. Sie stürmten die Ketten und begannen auf die Schilde, Helme und Absperrmaßnahmen einzuschlagen. Unregelmäßige Betäubungssalven schoßen aus den Ketten, um die Feinde des Reiches zu zerschlagen. Immer wieder ging ein Demonstrant bewusstlos zu Boden. Eine Brandbombe zerfetzte aus dem Nichts eine Kette, brennende Polizisten rollten sich schreiend über den Boden, da ihre Körperpanzerung mit ihrer Haut verschmolz. Medi-Droiden flogen herbei, um die Verwundeten zu löschen, als auch zu bergen. Die Ketten war gebrochen. Der Mob brach durch; kein Schlagstock vermochte sie mehr aufzuhalten. Als dies war vom Gleiter aus der Luft zu beobachten.

"Notmaßnahme einleiten," kommentierte der Lieutenant und aktivierte die Waffensteuerung, die sich auf seiner Seite befand. "Administrative Gewalt," antwortete der Pilot nüchtern, fast zynisch und steuerte den schwarzer ISF-Gleiter über die Menge. Zwei schwere Blaster gruben sich aus der Hülle hervor, begannen sich zu drehen und die Gas- als auch Energiezufuhr aktivierten sich mit einem Surren, das jenes Gefährt erschütterte. Der Offizier drückte ab und die grünen Blitze zuckten durch die Luft, direkt in die wütende Menge. Durch die Verpuffung von Asphalt, Luft und Bio-Materie, flogen einige Demonstranten zur Seite, schrien auf, weil ihnen Gliedmaßen fehlten. Wieder drückte er ab und wieder das Gleiche. Unter dieser schrillen Sirene, dem Blaulicht, hämmerten immer wieder tödliche Blasterschüsse. Die Demonstranten begannen panisch zu fliehen, verfolgt von sich zusammenrottenen Einheiten, der zerbrochenen Kette. Bodenfahrzeuge machten sich auf den Weg, um die Verhaftungen einzuleiten. Ausversehen wurden dabei verletzte Demonstranten überfahren, man erkannte dies am Rumpeln der schweren Maschinen, die über die Körper rollten. Der Gleiter der beiden Beamten in der Luft setzte noch einige hundert Meter nach, hin und wieder eine Salve abgebend. Das Viertel brannte jetzt in der Tat, da die heiße Energie der Waffen sicherlich dazu beigetragen hatte, einige marode Gebäude instabil werden zu lassen. Diese brachen in einem Brandmeer zusammen, fielen auf die Straße und begruben einige Demonstranten, die Deckung vor der Polizei suchten. Es war ein Feuersturm der Gewalt.

"Unruhen neutralisiert," hieß es im Funk. "Sturmtruppen eingetroffen, um Ordnungsmaßnahmen zu unterstützen."

Beide Beamten im Gleiter nickten, der Pilot zog die Maschine hoch, in eine angenehme Höhe, so dass sie nicht mehr direkt involviert waren, die Waffen deaktivieren konnten aber dennoch mit ihrem Bordkameras- sowie Sensoren, den Moment auf der Straße beobachten konnten. War es ihnen bewusst, dass sie gerade getötet hatten? Ja, diese Gedanken würden erst in der Nacht kommen, wenn der Alkohol oder auch die Schlaftabletten wieder ihre Wirkung versagten. Jetzt war es nur Dienst. Auf dem Schirm sah man nun die grauen Gleiter der imperialen Flotte, die auf dem Sammelplatz landeten und die weißen Todesboten entluden, die umgehend begannen, Kolonnen zu bilden, um das Gebiet zu durchsuchen. Merkwürdigerweise schien sich niemand um die brennenden, entflammten, Gebäude zu kümmern. Deren Glut füllte die Luft mit seltsamen, wie kurios, erscheinenden Aschepartikeln, die im faden Licht der Straße nachglimmten, wie Feuerwerk.

Scheinbar wollte das Imperium "den Müll" verbrennen lassen, wie es intern wohl geheißen hatte. Man konnte es als Beseitigung des Armen-Problems begreifen und bald würden hier Einkaufszentren und teuere Wohnanlagen für loyale Imperiale entstehen, sobald die Armen vertrieben oder Tod waren. Die Armen hatten ihren Nutzen und Funktion im imperialen System verfehlt. Man wollte sie schlicht nicht mehr.

Mit einem Klick deaktivierte der Pilot die Sirene, da sie nun nicht mehr gebraucht wurde. Die Sturmtruppen würden nun den Rest übernehmen.
Offline
Zitieren
 


Nachrichten in diesem Thema