Spielleiter
Hatte der Mann Reue, der Rankis mit dem Schlagstock misshandelt hatte? Scheinbar nicht, doch - Menschen treffen oft Entscheidungen aus dem Moment heraus und folgen schlicht unsichtbaren Schnüren, die sie zu dieser Aktion verleiten. Gewalt war oft die Antwort einer technokratischen Gesellschaft von Beamten und Soldaten. Pathologisch für diese Gesellschaft war, dass mangelnde Empathie durch gezielte Gewalt als mechanisches Mittel ersetzt wurde. Wie Uhrwerke einer großen Uhr drehten sich die Behörden, Apparate und Organisationen ineinander und steuerten die kleinen Zahnräder, die man auf der Straße fand. Es gab keinen Zweck oder Sinn, sondern nur eine Funktion. Die Uhr musste weiterlaufen, ein Stillstand war ausgeschlossen. Das war die herzlose Ideologie eines moralisch falsch orientierten Staates, der faktisch Moral als Strukturwert durch Ordnung ersetzt hatte. Auch in diesem Einzelfall, genau hier, an diesem Ort. Wo dieser Polizist sonst Mensch war, sogar Familienvater und seine Kinder liebte, trat seine ganze Persönlichkeit hinter die Gewalt zurück, die er durchführen musste. Warum gab es keinen Widerstand? Widerstand war obsolet in einem Staat, der sich selbst als Absolut sah. Als einzige Macht, welche den Lebewesen Funktionen zuwies. Mit jedem Hieb zerstörte er seine eigene Moral, welche sich selbst als äußerst variabel erwies. Man fügte sich, weil es einfacher war. Später würde er sich erneut dem Alkohol zuwenden, um zu vergessen; erneut Familienvater sein zu können, auch wenn diese Fassade bröckelte und diese chronische Frustration bereits in sein Privatleben spiegelte. Ähnliches durchzog den Geist des Beamten, der Rankis zu Boden presste. Ein Niemand, niemand von Wert, dennoch von seiner Funktion getragen. Faktisch keine Person mehr, nur noch eine Dienstnummer, reduziert auf eine schlichte Wahrheit: Systemerhalt. Nicht, weil er diesen Staat so sehr mochte oder die Probleme nicht sah, doch konnte er nicht mehr weichen; man hatte sich entschieden. Es war diese Fatalität, die ihren Lauf nahm. Erziehung war einst das Mittel gewesen; Leistungsoptimierung einer Gesellschaft, Reichtum und Wohlstand waren einst die Werte gewesen, die diesen Ordnungsstaat hervorgebracht hatten und nun weggeworfen wurden, weil sie nicht mehr gebraucht wurden.
Sicherheit - die einzige Alternative zum chaotischen Zustand der einstigen Republik. Niemand war mehr frei, nicht Rankis, nicht Mera und auch nicht die Polizisten; nur noch einer war frei: der Imperator, der alles unter sich hatte, die Verkörperung der herzlosen Technokratie, in ihrer absoluten Allmacht. Niemand hatte ihn wirklich gewählt, niemand ernannt und dennoch bestimmte er maßgeblich diesen toten Wertekanon von Ordnung und Sicherheit. Er war da, wie das System; einfach da. Kein Widerstand, kein Gedanke daran; einfache Ausführung, keine Enttäuschung im Angesicht des eigenen Spiegels; Verblendung von Wohlstand in der Rückhand, standen sie alle dort, in ihren schicken Uniformen, prügelten Kinder zu Boden, fesselten sie und notierten dies mental mit einer unnatürliche Gleichgültigt, die sie dezent in die Depression trieb, ohne es zu ahnen.
Als der Beamte von Mera in den Bauch getroffen wurde, sein Gewicht in sich spürte und davon trudelte, stöhnte er laut auf. Der Laut war schmerzverzerrt, auch wenn die Brustpanzerung einiges auffing, fiel der Polizist auf die Knie und dann auf den Rücken. Sein Stand war nicht gut gewesen, da er sich völlig auf die martialische Tortur von Rankis konzentriert hatte. Mera rollte auf den Boden, weiter auf den nächsten Beamten zu, rappelte sich auf und biss diesen in den Arm, der ihm am nächsten war. Auch dieser Beamte schrie auf, ließ von Rankis ab aber nicht ohne ihren Kopf als Stütze zu verwenden. Kleine Kiesel und Sand pressten sich in ihre Haut als er sich hochriss und Mera abfiel, wie ein Blutegel. Schnell fand dieser blaue Zwerg seinen Stand wieder. Die anderen beiden blickten erstaunt zu ihm. Der Lieutenant weitete seinen Augen erbost im Anschluss. "Widerstand," grummelte er laut und schaltete seinen Blaster auf Betäuben. Dann richtete er die Waffe direkt in Meras Richtung. "Widerstand ist eine Straftat; Festnahme," befahl er und schoss zwei kurze Betäubungsstöße auf Mera, welcher von blauen Kreisen getroffen wurde, die sich durch seinen Körper fraßen; Lähmungen traten auf, die seinem Bewusstsein immer näher kamen. Mera fiel um.
Die ausgefallenen Polizisten tasteten sich ab und sammelte fallengelassene Waffen, wie den Schlagstock, als auch Blaster ein; es war nichts weiter passiert. Doch waren auch sie verwundert, dass dieses kleine Biest so viel Kraft hatte. "Aliens," sagte der eine abwertend als er Mera ebenso Kabelbinder anlegte, diese besonders festzog, damit keine Fluchtgefahr bestand. "Wir nehmen sie mit in die Dienststelle," erklärte der Offizier und deutete abwechselnd auf die beiden, die nun hochgerissen wurden, unsanft getragen. Man würde alsbald den Polizei-Gleiter erreichen, die beiden auf der Rückbank anketten und mit ihnen abfliegen. So geschah es auch.
Rankis und Mera erwachten nebeneinander auf die Hinterbank, verbunden mit einer Art Halteeinrichtung, getrennt vom Cockpit durch eine Plexiglas-Scheibe, eines Gleiters. Der Gleiter glitt ruckelfrei durch die Luft über Coronet. Zwei Sicherheitskräfte, der Lieutenant und ein Untergebener, saßen vor ihnen. Sie hatten ihre Helme abgenommen und blicken steif aus dem Fronstfenster. Nur der Funk surrte plärrend vor sich hin; hin und wieder kam ein Funkspruch durch über Ausschreitungen, Unruhen oder bestimmte Zahlencodes, die bestimmte Straftaten darstellten. Was würde als Nächstes passieren?