#12
Es kam. Irgendetwas. Sedrael schauderte für einen Moment, als das eigentümliche Gefühl sich in ihrem Körper ausbreitete. Die Sephi saß im Schneidersitz auf dem Boden, gekleidet in ihre purpurfarbene Robe, die auf dem Boden dadurch weitaus mehr Platz einnahm als die Frau selbst. Gerade eben noch hatte sie sich einem Mann auf einer primitiven Trage zugewandt, dessen schweißgebadete Stirn sie berührt und der sie dabei panisch gemustert hatte, ohne aber die Kraft zu haben, sich noch zu wehren. Sie hatte gesehen, wie die Anspannung allmählich aus dem Blick gewichen war und dank ihrer Heilkunst die geradezu anarchische Fluktuation der Macht um ihn herum mit einer geordneteren Ruhe ersetzt worden war, die den Mann von Schmerzen gelöst hatte und ihn entspannen ließ. Bald schon war er eingeschlafen und es bestand für die Sephi kein Zweifel, dass er aus diesem Schlaf morgen auch nicht mehr aufwachen würde, auch wenn sein Körper noch am Leben war.

Doch als sie sich dann ausgelaugt ein paar Meter vor der Trage niedergesetzt hatte, da war ihr plötzlich und absolut unmissverständlich eines ganz klar geworden, beinahe als habe man ihr einen Stoß im Geiste gegeben und sie bewusst darauf hingewiesen. Zweifelsohne war es die Macht, die hier in ihrer Nähe wirkte – nicht in ihr selbst, sondern in einer anderen Person. Doch so etwas hatte sie in dieser Form noch nie zuvor gespürt. Oder hatte sie in ihrer Zeit der entbehrungsreichen Abgeschiedenheit vergessen, wie es sich anfühlte? Nein. Das hier war anders. Diese Präsenz, sie… diese Person selbst, sie fühlte nicht wie ein Jedi. Die Macht schien sich in einem anderen Gleichgewicht zu bewegen als sie das aus der Vergangenheit noch in Erinnerung hatte. Es schien zwar nicht direkt aggressiv zu sein, aber doch auf eine Art zehrender als die Präsenz, die von Sedraels altem Jedi-Freund ausging. Aber sie musste sich irren. Wer sonst hätte sie hier finden sollen, nach all den Jahren.
„Asko?“, nuschelte sie über ihre Lippen hinweg und bewegte ihre Pupillen ruckartig von einer Ecke des Raums zur nächsten, obwohl sie die Antwort eigentlich bereits kannte. Das konnte nicht Asko sein. Es gab keinen Weg mehr durch die Quarantäne. Und sie waren voneinander getrennt worden, als die Sephi ihrer Heimat zu Hilfe kommen wollte. Oder die Macht ihr bestimmt hatte, dass dies der für sie richtige Weg sei. Asko war fort, vor einer schier endlosen Zeit schon. Doch Sedrael hatte bereits jedes Zeitgefühl verloren. Sie hatte in den letzten... ja, was waren es? Monate? Gar Jahre? … kaum mehr Kontakt zu den Ärzten gesucht und sich meistens nach der Behandlung der Sterbenden sofort wieder in die verlassene Stadt in der Nähe zurückgezogen. Anfangs war das noch anders gewesen, doch die Frustration in allen Beteiligten war gestiegen und inzwischen hatte sie immer mehr das Gefühl, dass man sie mitunter auch skeptisch betrachtete. Nur selten, meistens aus Zufall, war sie in letzter Zeit einem der Firrerreo begegnet, die ihr trotzdem immer noch versiegelte Nahrung und Wasser anboten, vermutlich weil sie erkannten, dass Sedraels Methoden zumindest für einen würdigen Abschied aus der Welt sorgten. Das übrige Essen in der Geisterstadt war längst verseucht, wie auch der Boden, der sonst als Ackerfläche hätte dienen können. Dankbar war sie also für die Unterstützung, die sie erhalten hatte. Auch für die Impfung, die man ihr verabreicht hatte, als sie als vermeintliche Krankenschwester eingeflogen wurde. Aber alles in allem wirkte ihr ganzes Abenteuer hier wie ein Fehlschlag. Sedrael war töricht gewesen zu glauben, dass ihre beschränkten Kräfte irgendetwas ausrichten konnten. Lange Zeit hatte sie geglaubt, dass sie sich nur besonders anstrengen musste und sie würde dem Willen der Macht gerecht werden, also die Seuche und das Leiden ihres Volkes dank ihrer heilerischen Begabung beenden können. Aber sie war schlichtweg nicht stark genug gewesen und war gescheitert. Inzwischen vermutete die Sephi, dass das wohl die Bestimmung war, derentwegen die Macht sie hierher gesandt hatte. Edle Motive alleine änderten überhaupt nichts. Setze deine Kräfte nur dort ein, wo sie auch etwas bewirken können. Etwas ändern zu wollen, wogegen man machtlos war, war eine Fehlinterpretation bezüglich der Macht. Oder war es der Fingerzeig, der ihr klarmachen sollte, dass sie ihren gewählten Weg so nicht weiter gehen sollte? Dass sie alleine nicht weiterkam und Hilfe benötigte? Wie so häufig war die Sephi ratlos. Fragen, die einer Antwort bedurften, die ihr keiner geben konnte. Die Meditation half dabei, sich zu finden, doch sie führten alleine nicht dazu, dass sie mit sich selbst vorankam.

Doch vielleicht war auch genau das der Fehler gewesen. So schwach ihr Signal nach außen hin gewesen sein mochte, vielleicht waren ihr die Verfolger mit jedem Mal, in dem sie ihren Körper und Geist der Macht hingeben hatte, einen Schritt näher gekommen und nun war es so weit. Nun hatten sie sie gefunden. Diejenigen, die die letzten Jedi schon seit Jahren suchten und auszurotten gedachten. Welch Glück hatte Sedrael gehabt, dass sie dem Orden schon vorher entsagt hatte. Sie zweifelte nicht daran, dass sie ansonsten bereits das Schicksal vieler anderer ihrer alten Gefährten geteilt hätte. Doch Glück war oft nicht von dauerhafter Beständigkeit. Sedrael schloss die Augen. Die frühere Jedi streckte ihre Sucher nach draußen aus, weit draußen. So weit, wie sie in der Lage war. Asko. Ich brauche dich. Doch die Verzweiflung und Furcht vor dem Unbekannten wichen bald der einfachen Erkenntnis. Ganz egal, ob Asko sie spüren würde und erkennen würde, dass sie in Gefahr war – er würde nicht rechtzeitig kommen können, ihr zu helfen. Asko konnte ihr nicht helfen. Sie musste es alleine hinter sich bringen. Wer die letzten Jahre alleine verbracht hatte, für den war das an sich keine Umstellung. Doch dies war eine Herausforderung, auf die sie weder vorbereitet noch ausgebildet war. Sie war keine Kämpferin. Ihr Schwert hatte sie seit bestimmt weit über einem Jahrzehnt nicht mehr als Waffe genutzt – und selbst das war reine Theorie gewesen. Was konnte sie einem Angriff schon entgegensetzen?

Die schon zu Beginn der Klonkriege aus dem Orden geflohene Jedi überlegte, erneut zu fliehen, sobald sie die Gegenwart des Machtbegabten zu spüren begann. Doch wohin hätte sie gehen sollen? Es gab kein Verstecken vor anderen Machtnutzern, nicht auf diese kurze Entfernung. Immer blieb ein Splitter dessen zurück, was man war und die Macht konnte man nicht täuschen. Sie wäre gefunden worden, so oder so. Ob hier. Ob in einem Tag oder einem Monat. Es machte keinen Unterschied mehr. Die Sephi war erschöpft, sie war müde. Frustrierende Jahre hatten an ihren Kräften genagt, vielleicht etwas weniger an den geistigen als mehr an den physischen. Selbst wenn sie es gewollt hätte, wäre sie wohl gar nicht dazu in der Lage gewesen, mittelfristig vor jemandem wegzulaufen. Also nahm sie es hin und verfolgte, wie die ungewohnte Konzentration der Macht sich in ihrem Geist weiter manifestierte. Beständig kam sie näher und näher.
„Die Macht lügt nicht“, sprach Sedraels melodische Stimme gut hörbar in den Raum hinein und ihre gespitzten Ohren zuckten kurz unter der Kapuze, als sie die ersten Schritte hinter ihr hörte und die Machtpräsenz des Neuankömmlings bereits im Zelt flackerte. Ja, die Macht log nicht. Hinter ihr stand ohne jeden Zweifel ein Machtnutzer. Die Sephi atmete ein Mal so laut aus, dass es einem Seufzen gleichkam, und senkte ihren Kopf ein Stück weit ab, fast als würde sie frustriert hinnehmen, was nun folgen würde.
„Es musste wohl früher oder später so kommen.“
Das kalte, metallische Objekt an seiner Hüfte, dessen Existenz wie durch einen Spiegel in der Macht reflektiert wurde, obwohl sie es nicht physisch sehen konnte, beantwortete bereits die ungestellte Frage, ob der Fremde überhaupt bewaffnet war. Doch Sedrael selbst saß weiter mit dem Rücken und geschlossenen Augen zum Eingang und rührte sich nicht. Irgendwie konnte, irgendwie mochte sich die Frau doch nicht vorstellen, dass dies hier wirklich das Ende sein würde. Die Macht konnte sie nicht verlassen und an diesen Ort geschickt haben, nur um nach Jahren der Entbehrung nun - ohne je etwas im Sinne der Macht getan zu haben - den Weg ins Jenseits einzutreten. Das ergab für Sedrael keinen Sinn. Aber vielleicht verstand sie auch alles nicht gut genug, um den Sinn oder Unsinn dahinter wahrhaftig ergründen zu können. Und möglicherweise gab es auch gar keinen. Die Sephi versuchte kurz, in den Gefühlen der anderen Person zu forschen, um irgendetwas aufzugreifen, womit sie dem Motiv auf den Grund gehen konnte, ohne dass ihr dabei jedoch ein Erfolg beschieden war. Sie hatte wahrlich viel verlernt, musste sie feststellen. Lediglich die offenbare Abwesenheit von brutaler Aggression oder besonderem Hass, den man bei einem Häscher im Dienste der Dunklen Seite hätte erwarten können, ließ sie innerlich zweifeln. Zumindest war es das gewesen, das man ihr vor allzu langer, verschwommener Zeit im Orden berichtet hatte. Mangels Erfahrung vermochte sie nicht zu beurteilen, inwieweit das wirklich zutraf.
„Sag mir, Fremdling, bist du des Wortes oder der Waffe wegen gekommen?“
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