#3
Ihre Welt war heil. Sie war klein, aber sie enthielt alles, das Saanza brauchte, um glücklich zu sein. Ihre Eltern, den kleinen Innenhof in der Nähe ihres Häuserblocks und Aidan. Jeden Morgen wartete sie auf ihn, um gemeinsam mit dem Jungen zur Schule zu gehen. Sie beide waren Außenseiter, jeder auf seine Weise. Doch sie hatten einander gefunden und mit ihm an ihrer Seite schien alles etwas leichter zu sein. Saanza wusste, dass die anderen Kinder hinter ihrem Rücken über sie redeten, weil sie Dinge vorausahnen konnte. Meistens unangenehme Dinge. Doch Aidan glaubte ihr und stand für sie ein – nur das zählte. Ohne wirklich darüber zu sprechen, hatten sie einander adoptiert und waren Bruder und Schwester geworden. Nun war ihr inniger Umgang so selbstverständlich, als wäre es schon immer so gewesen. Und Saanza hätte es sich nicht anders vorstellen können.
Nach der Schule verbrachte sie oft die Nachmittage mit ihm. Besuchte ihn und seine Mutter, um im Haushalt auszuhelfen und gemeinsam mit ihm die Hausaufgaben zu machen. Genoss die Wärme der Sonne, auch wenn der Himmel über Fondor ständig von industriellen Rauchschwaden gefärbt war, oder verlor in einem der zahlreichen Spiele mit einem alten Ball aus Synthleder. Es störte sie nicht. Aidan war älter, athletischer und kräftiger als sie. Es ging Saanza nicht darum, zu gewinnen. Nur darum, Zeit mit ihm zu verbringen und ihn glücklich zu sehen.

Wie jeden Tag wartete sie an der Straße auf ihn. Wippte mit leisem Summen vor und zurück – von den Zehenspitzen auf die Ferse – und hatte den Blick auf den Eingang geheftet, aus dem er immer kam. Als Aidan nach ein paar Minuten immer noch nicht auftauchte, begann sie nervös an ihren Haaren zu zupfen. Noch gab es bestimmt keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Sicher würde er sie nur auslachen, wenn sie jetzt an seine Tür klopfte und fragte, ob alles in Ordnung war. Dann nahm sie eine Bewegung im Eingang wahr und ein Stein fiel ihr vom Herzen, als sie sein vertrautes Gesicht erblickte. „Guten Morgen, Schlafmütze!“, kicherte das Mädchen und ging ihm entgegen. „Ich hatte schon Angst, du kommst nicht mehr. Los, beeilen wir uns, sonst kommen wir noch zu spät!“
„Meine Mutter… Es geht ihr nicht gut…“, sagte der Junge mit leiser Stimme. Erst jetzt fiel ihr auf, dass er übernächtigt wirkte. Saanza starrte ihn einige Momente aus ihren violetten Augen an, die so gut zu Fondor zu passen schienen. Spürte erst, wie ihr die Schamesröte ins Gesicht schoss, nur um dann kurz darauf vor Angst blass zu werden. Doch dann fand das Mädchen die Sprache wieder und ergriff fest seine Hand. „Mach dir keine Sorgen“, sagte sie voller Wärme. „Ich bin mir sicher, es wird ihr bald wieder besser gehen. Versprochen!“, fügte Saanza hinzu, als ob sie darauf tatsächlich einen Einfluss hätte. Doch sie hatte nichts Schreckliches gesehen – also musste es wieder gut werden. „Hör zu, nach der Schule komme ich mit zu dir und dann helfe ich dir beim Kochen und beim Saubermachen, damit sich deine Mutter ausruhen kann. Und morgen und übermorgen mache ich genau das gleiche, bis sie wieder auf den Beinen ist. Du musst das nicht alleine durchstehen. Ich bin doch hier!“
Saanza ließ seine Hand los, nur um ihn gleich darauf stürmisch zu umarmen und das Gesicht in seiner Kleidung zu vergraben. Sie wusste selbst nicht, warum ihr auf einmal nach Weinen zumute war. Doch ihre Kehle fühlte sich wie zugeschnürt an. „Also… mach dir keine Sorgen.“ Saanza spürte, wie sein Brustkorb sich regte und hörte von weiter oben ein leises, raues Lachen. Sie hatte ihn zum Lachen gebracht! Aidan tätschelte ihren Kopf und sie presste sich noch enger an ihn, damit er ihre aufwallenden Tränen nicht sah. „Ich werde immer hier sein.“

Aidans Mutter gesundete wieder und das Leben ging weiter. Tage wurden zu Wochen und Jahre flossen ineinander. Zeit schien hier keine Bedeutung zu haben. Mal waren sie Kinder, mal Jugendliche und mal an der Schwelle zum Erwachsensein. Nichts schien sich für die beiden Ziehgeschwister zu ändern. Es war wie ein Kreislauf, der immer wieder von vorne begann, ohne dass Saanza es bemerkte. Wie die Unruh eines uralten Chronos, die immer vor und zurück schwang. Den Moment verstreichen ließ, um ihn doch festzuhalten. Wie ein Herzschlag oder ein Atemzug. Dazu verdammt, sich in Ewigkeit fortzusetzen. Ein ewiger Schlaf für die Jedi, die sich dessen nicht bewusst war. Doch wenn man an einem Ort gefangen war, an dem man in eine glückliche Zeit zurückversetzt wurde, konnte man es dann wirklich ein Gefängnis nennen?
Saanza – das Kind, die Frau – saß mit gesenktem Kopf auf einem Steinblock und band sich ihre Haare zu einem geflochtenen Zopf. Sie blickte auf, als sich plötzlich ein Schatten in ihr Sichtfeld stahl und erkannte vor sich die Silhouette von Aidan. Seine Gestalt, welche die Sonne verdeckte, war von einer seltsamen Korona umgeben, durch sie sein Körper – des Jungen, des Mannes – unerwartet dunkel erschien. Ihr Ziehbruder hatte einen freundlichen, fast aufgeregten Gesichtsausdruck und streckte ihr seine Hand entgegen. „Komm, ich muss dir etwas zeigen!“
„Ich muss dir etwas zeigen“, echoten seine Worte in einer weitaus älteren Stimme, die Saanza einen eisigen Schauer den Rücken hinabjagte. Mit einem Mal verschob sich ihre Sicht und anstelle ihres Ziehbruders sah sie den Schemen eines Mannes, der mehr tot als lebendig wirkte. Rissige Haut spannte sich wie Papier über ein viel zu ausgemergeltes Gesicht, dessen harte Konturen die tiefliegenden Augenhöhlen umso mehr betonten, aus denen glühende Augen direkt in ihre Seele zu blicken schienen. Schwarze Äderchen auf bleicher Haut und klauenartige Hände ließen die menschliche Gestalt geradezu monströs aussehen. Auf den gesprungenen Lippen trocknete dickflüssiges Blut, vermischt mit eitrigem Speichel. Eingerahmt in eine dunkle Robe wirkte dieser Mann wie einem Albtraum entsprungen. Saanza konnte gerade noch einen Schreckenslaut unterdrücken, doch sie entzog Aidan– dem Mann, dem Monster – ihre Hand und schüttelte heftig den Kopf. „Nein… Das ist falsch.“
„Es war immer falsch gewesen“, erklang abermals ein fernes Echo. Dieses Mal eine Frauenstimme, die ihrer eigenen nicht unähnlich wirkte.
Plötzlich zerriss die Realität um sie herum und aus dem von milchigem Licht gefluteten Platz wurde ein finsterer Kerker. Die Gestalt in dunkler Robe packte Saanzas Kehle mit ihren Klauenhänden, riss sie mit fast übermenschlicher Kraft in die Höhe und ließ sie vor sich wie eine Puppe baumeln. „Ich zeige dir meine Welt!“ Dunkelheit formte sich um sie wie ein undurchdringlicher Nebel, während die Augen des Schattenwesens voller Hass loderten. Saanza rang nach Luft, doch außer einem leisen Röcheln kam kein Laut aus ihrer Kehle. Auch ihre Muskeln gehorchten ihr nicht. Wie in tausend Nadelstichen drang die Dunkelheit unter ihre Haut und lähmte sie, füllte sie mit einer überwältigenden Traurigkeit. Schmerz. Hass. Angst. Verlust. Das Gefühl, sich selbst jeden Moment zu verlieren… Bevor der Nebel ihre Sicht vollends verschleierte, erkannte sie ihn. Erinnerte sich an diese Begebenheit. Das letzte, woran die Jedi sich erinnern konnte…
Was hast du getan … Aidan...?

Das Machtgefängnis, das Saanza in Stasis hielt, formte nun ein anderes Bild. Die Illusion einer heilen, glücklichen Kindheit und Jugend gemeinsam mit ihrem Bruder hatte die Jedi eine Weile lang in Schach gehalten. Doch das idyllische Trugbild hatte nicht verhindern können, dass sich Erinnerungen und unbewusste Gefühle ihren Weg bahnten. Nicht nur Glück hatte die beiden Ziehgeschwister verbunden, sondern vor allem Leid. Leid, das auf ihrem weiteren Lebensweg oftmals Aidan selbst verursacht hatte. Es hatte ihr Band zu einer Kette gemacht, die sie aneinander schweißte. Im Guten wie im Bösen. Wie Sonne und Mond. Wie zwei Seiten einer Medaille. Das Hin und Her des Pendels hätte nicht ewig während können. Selbst in einer Welt ohne Zeit lag dies nicht in der Natur der Realität. Saanza Herz oder die Macht selbst hatten zarte Hinweise gestreut und schließlich war das Idyll durch eine grausame Wahrheit zerbrochen, wie es so oft in dieser Galaxis geschah…
Doch die dunklen Kräfte wussten zu adaptieren und materialisierten sich in Form eines weiteren innigen Wunsches von Vesperum. Wenn sie schon nicht in die Tage ihrer Kindheit zurückkehren konnten, sollte Saanza zumindest in der Gegenwart an seiner Seite sein. Aus der Schwärze formten sich einzelne Sterne und eine wunderschöne blaugrüne Perle, die von einem zarten Wolkenschleier umgeben war. Saanzas Augen brauchten erst eine Weile, um sich an die spärlichen Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Sie stand am Eingang eines Raumes, der zu einem Großteil abgesenkt war und mehrere Arbeitsstationen beinhaltete, an denen imperiale Offiziere routiniert ihren Aufgaben nachgingen. Eine Gangway führte zu einer Reihe von Sichtfenstern aus Transparistahl, welche den Blick auf den Weltraum preisgaben. Dies war die Brücke eines Sternenzerstörers. Die Imperialen schienen sie zu ignorieren, doch eine weitere Person hatte Saanzas Präsenz wahrgenommen. Sie stand am gegenüberliegenden Ende des Raumes vor einem der Sichtfenster und war in eine tiefschwarze Robe gekleidet. Darth Vesperum hob eine eitrige Hand, ohne sich umzuwenden, und bat sie mit dieser Geste stumm an seine Seite.
Saanzas Herz klopfte aufgeregt in ihrer Brust, während sie ihm näher kam. Die Dunkle Seite ging in eisigen Wellen von ihm aus und ließ die Luft um ihn herum spürbar kälter werden. Doch Saanza erschauerte nicht, spürte keine Angst, als sie neben ihn trat. Es war Aidan– welchen Grund sollte sie haben, sich vor ihm zu fürchten? „Naboo. Sieh es dir an“, sagte seine Grabesstimme und die Hand, die sie eben noch her befohlen hatte, deutete auf die blaugrüne Perle. Saanza folgte seiner Geste, aber ihre Augen mussten ihren Fokus erst auf den in der Entfernung liegenden Planeten einstimmen. Dadurch sah sie für einen Moment ihre eigene Reflektion im Transparistahl. Sie trug eine hochgeschlossene Tunika in dunklem Grau, die locker um ihren Körper fiel und ihre weiblichen Kurven nur wenig betonte. Ihre Haut wirkte unnatürlich blass und feine dunkle Äderchen waren um ihre Augen zu erkennen. An ihrem Gürtel hing ein Lichtschwert mit altertümlichem Griff und ihre blonden Haare waren als Zopf auf einfache Weise hochgesteckt. Nachdenklich tastete Saanza danach und strich eine Strähne aus dem Gesicht, die sich aus dem Konstrukt gelöst hatte. Irgendetwas wollte an dem Bild nicht passen, aber sie konnte nicht sagen, was es war.

Im Weltraum hatten mehrere Sternenzerstörer einen Halbkreis gebildet und hielten auf die Hauptwelt der Neuen Republik zu. „Heute wird die Lüge der Jedi ein Ende finden und die Galaxis die einzige Wahrheit erkennen. Frieden gibt es nicht. Dort unten, irgendwo auf dieser blaugrünen Kugel, lag das Praxeum von Luke Skywalker. Doch der Jedi-Meister und seine Handvoll Schüler und Ritter würden dem Bombardement des Imperiums nicht standhalten können. Dann würde der Erlösung ihres Bruders, ihres Imperators nichts mehr im Wege stehen. „Du hast lange genug gelitten“, sagte Saanza mit einem Anflug von Mitleid in ihrer Stimme. Als wäre dies ihr Zeichen gewesen, begannen die Sternenzerstörer auf Naboo zu feuern und die Welt mit leuchtenden Explosionen zu überziehen. Auf dem sanften blaugrünen Grund des Planeten erwuchsen todbringende Blüten, welche die Oberfläche von Naboo in Asche verwandelten. Die Schreie der Sterbenden, die von den gnadenlosen Kriegswaffen des Imperiums dahingerafft wurden, gellten durch die Macht bis zu ihnen hinauf. Während Vesperum reglos blieb, spürte Saanza ein unangenehmes Prickeln auf der Haut, das die feinen Härchen überall an ihrem Körper aufrichtete. Sie hatte erwartet, dass sich nun ein Gefühl der Erleichterung einstellte. Stattdessen fühlte sie… Bedauern…
„Es ist gut“, begann der Imperator. „Es ist gut, dass du hier bist“, führte ihr Bruder den Satz zu Ende.
„Wo sollte ich sonst sein?“, fragte sie ihn und ein flüchtiges Lächeln glitt über ihre Züge. „Mein Platz ist an deiner Seite.“
„Luke Skywalker hat versucht, dich auf seine Seite zu ziehen und für seine Lüge zu missbrauchen.“
„Skywalker hat versagt“, sagte plötzlich eine andere Männerstimme, voller Hass und Verachtung. Saanza kannte sie, doch sie hatte sie noch nie in diesem Tonfall vernommen. Lee? Irritiert wandte sie den Kopf, um den Ursprung der Stimme auszumachen, als ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihr Spiegelbild fiel. Statt ihres eigenen Abbilds war dort ein Mann in dunkler Kluft zu sehen, der ein rot glühendes Lichtschwert in der Hand hielt. Es war Lee Valen – doch der Schmerz, der beinahe greifbar in seiner Aura tobte, passte nicht zu dem Mann, an den sie sich erinnerte. Saanza war so fixiert auf dieses Bild, dass sie nicht bemerkte, wie die Welt um sie herum in der Zeit gefror. Selbst ein endloser Moment konnte angehalten werden. Der Dunkle Lord an ihrer Seite war regungslos wie eine Statue, doch in seinen glühenden Augen lag einen warnender Blick. Vesperums Illusion war unfähig, etwas an dem zu ändern, was sie gerade durchlebte – und dennoch siegesgewiss, dass die erneute Störung nichts an ihrem Zustand ändern würde.

Noch immer konnte Saanza die Schreie in der Macht hören, die durch Leid und Verzweiflung verursacht wurden. Aber ihre Klangfarbe hatte sich verändert. Es war nicht mehr der ganze Planet, der schrie, sondern nur noch… Das Praxeum. Lee stand dort mit gezogener Waffe einem Jedi-Schüler gegenüber, holte mit dem Lichtschwert aus und-- „Lee! Nein, tu es nicht!“, rief Saanza plötzlich und presste ihre Hände gegen den Transparistahl, als könnte sie ihn dadurch aufhalten. Stattdessen musste sie zusehen, wie ihr Freund den Schüler einfach niederstreckte. Plötzlich begann sich das Fenster – ausgehend von ihren Handflächen – mit Rissen zu überziehen, aus denen gleißendes Licht strömte. Entsetzt wich die Jedi einen Schritt zurück. „Was passiert hier?“ Vesperum konnte keine Antwort geben. Doch in jedem Teilstück des gesplitterten Transparistahls wurde ein anderes Bild sichtbar. Gemeinsam erzählten sie eine vollständige Geschichte und zeigten Saanza, was in der wirklichen Welt gerade geschah. Das Licht, das zwischen den Rissen hervorbrach, rührte etwas in ihrem Innersten und erinnerte sie daran, wer sie wirklich war. Es war die Macht. Daran hatte die Jedi keinen Zweifel. Selbst an diesem finsteren Ort hatte das Licht sie gefunden – auch wenn es ihr schreckliche Dinge zeigen musste.
Die blonde Frau sah Lee, der nach Byss aufgebrochen war, um sie zu finden. Der in dunkler Kluft vor Vesperum und ihre eigene leblose Gestalt geführt wurde. Der vor dem Imperator kniete und ihm seine Treue schwor. Der mit einem roten Lichtschwert einen Unschuldigen tötete. Der Aidan den Standort des Praxeums verriet und anschließend dorthin geschickt wurde, um die Jedi auszulöschen. „Oh, Lee…“ Saanza spürte, wie ihr heiße Tränen die Wangen hinabrannen, als sie zu dem Splitter vordrang, auf dem Lee Valen die Jedi-Enklave betrat und eine Spur aus Chaos und Tod hinter sich zurückließ. Mehrere Wachen und Schüler fielen dem Wüten des gefallenen Jedi zum Opfer, während er weiter vordrang. Meister Ajax Catar wurde von einem Machtschub gegen die Wand geschleudert und blieb dort regungslos liegen. Dion Bresk, der ins Praxeum zurückgekehrt war, stellte sich Lee entgegen und konnte den Dunklen Jedi nach einem kurzen Gefecht bezwingen. Doch er ließ Lee nicht allein sterben. In seinen letzten Momenten war er bei ihm und vermochte sogar noch einmal den Mann hervorzuholen, der Saanzas Freund gewesen war.

Als das Licht in seinen Augen brach, löste sich aus der Kehle der blonden Frau ein Schluchzen und die Bilder verschwanden. Die unvergängliche Zeit durfte weiter fließen und Vesperum wandte sich zu ihr um. Noch immer glommen die Linien im Transparistahl in einem sanften Licht. „Warum hast du das getan? Er war mein Freund!“, fuhr Saanza ihren einstigen Bruder an. Und für einen flüchtigen, verbotenen Moment vielleicht sogar mehr als das. Mit den Ärmeln ihrer dunklen Robe wischte die Tränen in ihrem Gesicht fort, dann schüttelte sie traurig den Kopf. „Das hier ist nicht wirklich. Das hier bin nicht ich“, sagte sie mit Nachdruck und deutete auf ihre dunkle Garderobe. „Ich bin eine Jedi. Das wirst du niemals ändern können. Du musst mich gehen lassen.“
„Nein, du gehörst zu mir“, sagte die müde Stimme von Aidan wie aus weiter Ferne, obwohl er direkt vor ihr stand. „Ich kann dir eine Welt ohne Leid geben, wenn du es nur zulässt.“ Abermals schüttelte Saanza den Kopf. Zuneigung und Abscheu rangen in ihrem Inneren. „Dafür ist es bereits zu spät.“ Mit einem schmerzvollen Lächeln löste sie die Waffe von ihrem Gürtel und entzündete die Klinge. Das rote Lichtschwert erinnerte sie an ihren ersten Aufenthalt auf Byss. Damals hatte Saanza auf Aidans Geheiß zum ersten Mal jemanden töten müssen. Die Erinnerung daran konnte er nicht auslöschen – ganz gleich, mit welchem Trugbild er sie und sich selbst zu belügen versuchte. Ihr Herz würde sie immer wieder daran erinnern, wer sie wirklich war und welcher Weg hinter ihr lag. Saanza ging in eine Shii-Cho Ausgangspose. „Sie brauchen mich, Aidan.“ Sie holte mit dem Lichtschwert aus – und zerschlug den gesprungenen Transparistahl.

Splitter wirbelten durch die Luft und ein höllischer Sog riss Saanza fast von den Beinen. Instinktiv hielt sie schützend einen Arm vors Gesicht, als die Welt sich abermals änderte und die Brücke des Sternenzerstörers sich in einen Thronsaal verwandelte. Als die Jedi den Arm sinken ließ, trug sie wieder ihre schmutzige, zerschlissene Robe, in der man sie nach Byss gebracht hatte. Und doch war Saanza sicher, noch immer in einer Illusion gefangen zu sein. Die Kulisse, vor der sie stand, trotzte allen Regeln der Realität. Oder hast du deinen Wahnsinn tatsächlich in die Tat umsetzen können? Nein, das kann nicht sein. Die Fenster des Thronsaals öffneten sich direkt in den Weltraum. Dort war ein Meer aus Sternen und Planeten aus allen Teilen der Galaxis zu sehen. Sie stand in der Mitte des großen Raumes, dessen Wände von Schatten verschluckt wurden. Saanza glaubte, im Halbdunkel die verdrehten Leichen von Sturmtruppen zu erkennen. Imperiale Banner hingen wie zerfledderte Leichentücher hinter einem Thron aus kaltem Stein. Aidan stand noch immer vor ihr und wandte sich mit wehenden Gewändern von ihr ab, um schnellen Schrittes in Richtung Thron zu gehen.
„Warum widersetzt du dich mir?“, fragte er wütend. Dennoch wirkten seine Bewegungen fahrig und verbraucht. „Ich kann dir eine Welt geben, in der es kein Leid gibt! Keinen Tod! Keine Zeit! Wir könnten ewig leben und ewig glücklich sein. Du, ich, Amaranthine--“
„Und Lucian?“, schnitt sie ihm mit nüchterner Stimme das Wort ab. „Es bliebe eine Lüge. Ganz gleich, wie real es sich für dich anfühlt.“
„Es wird wirklich sein! Ich kann diese Galaxis erlösen.“
„Indem du Millionen von Wesen tötest und noch mehr leiden lässt?“, schleuderte sie ihm entgegen – unwissend, ob ihre Worte den wahren Aidan überhaupt erreichten. Doch dieses Machtgefängnis war von ihm erschaffen worden, also musste auch ein Teil von ihm in dieser Illusion stecken. Selbst wenn er sie nicht hören konnte, wollte Saanza nicht einfach stumm bleiben. In gewisser Weise war es sogar einfacher, hier die Worte zu sagen, die ihr in der Wirklichkeit nie über die Lippen gekommen wären.
„Sie alle werden einen Sinn haben, wenn ich erst die Macht habe, die Fesseln dieser Realität endgültig zu sprengen.“
„Dann geht es dir nicht um das Wohl dieser Galaxis, sondern nur um dein eigenes Glück.“ Sie seufzte und schüttelte den Kopf. Wie immer bewegten sich ihre Unterhaltungen im Kreis und in dieser Welt konnten sie bis in alle Ewigkeit dauern. „Du hast Angst, alles zu verlieren – aber wenn du diesen Weg weitergehst, wirst du dich selbst zerstören. Es ist jetzt schon kaum noch etwas von dir übrig...“
„Diese sterbliche Hülle ist ohne Bedeutung. Ich werde sie nicht mehr lange benötigen“, sagte der Imperator mit kalter Stimme und ließ sich auf seinem Thron nieder.
„Lass mich gehen“, bat sie noch einmal mit Nachdruck.
„Nein.“

Plötzlich ertönte ein tiefer, kehliger Gesang, der aus allen Richtungen zu kommen schien. Erschrocken wandte Saanza sich nach ihnen um. Aus den Schatten lösten sich Kultisten in schwarzen Roben, die mit dunkelroten Zeichen versehen waren. Sie gehörten verschiedenen Spezies an, doch weite Kapuzen verdeckten ihre Gesichtszüge. Die Kultisten sangen in einer alten Sprache – der Sprache der Sith – und formten an der Grenze zwischen Licht und Dunkelheit einen Halbkreis um die blonde Frau. „Ich werde sie dir zeigen“ , sagte Vesperum mit erhabener Stimme. „Meine ewige Dunkelheit. Meine Erlösung.“ Der unheilige Gesang schwoll an. Die dunkle Seite wurde stärker und begann, sich in Saanzas Gedanken zu bohren. Mit einem Stöhnen fasste sich die Jedi an die Schläfe. Das hier waren mehr als nur Worte – es war ein Ritual.
Schwarzroter Nebel begann von den Kultisten aufzusteigen, während ihre spärlich erkennbaren Gesichter immer weiter ausmergelten. Haut, Blut und Fleisch vermischte sich als winzige Partikel mit dem Nebel und strebte Vesperum entgegen. Aus einem diffusen Wabern formte sich ein Band der Macht zwischen dem Dunklen Lord und seinen Dienern. Es war pure Lebenskraft. Saanza beobachtete, wie die Kultisten vor ihren Augen dahinwelkten, während der Imperator neue Kraft zu gewinnen schien. Die eitrigen Wunden auf seinen rissigen Händen schlossen sich und die verhärmten Züge seines Gesichts wurden weicher. Doch es war nicht genug. Genau wie bei den Kultisten begann sich sein eigener Körper wieder zu zersetzen und zu transformieren. Mit einem Aufkeuchen sah die Jedi, wie die ersten aus seiner Dienerschaft zu Staub zerfielen – aber im Schatten warteten bereits weitere Kultisten, um ihre Plätze einzunehmen und den schaurigen Choral fortzusetzen. Es war eine endlose Prozession, die gekommen war, um sich der Dunkelheit zu opfern.
Saanzas Atem ging schwerer. Das Gefühl von Tod und Verzweiflung drohte, sie zu ersticken. Dann sah sie, wie die ersten Sterne fielen. In dem unmöglichen Kosmos, der sich hinter dem Thronsaal öffnete, wurden die ersten Planeten von tiefem Schwarz überzogen. Lichtpunkte verloschen und sie konnte fühlen, wie Millionen von Seelen ein letztes Mal aufschrien, ehe sie von der Dunkelheit verschlungen wurden. „Hör auf!“, rief sie entsetzt und starrte auf einen weiteren Planeten, der sich wie brennendes Papier in Asche auflöste. Auch die Energie all dieser Welten strebte Vesperum entgegen und nährte ihn, während die Galaxis draußen dunkel wurde. Doch es war nicht genug. Nichts würde je genug sein – und am Ende würde nichts übrig bleiben. „Du musst aufhören! Aidan!

Aber er hörte nicht. Er wollte nicht hören. Wie immer waren ihre Worte wirkungslos. Mit schmerzvollem Stöhnen hielt Saanza sich den Kopf und sank auf die Knie. So viel Tod… So viel Zerstörung… So viel Leid… „Bitte“, wisperte sie und fühlte wieder neue Tränen über ihr Gesicht rinnen. „Hör auf.“ Plötzlich wurde hinter dem Imperator ein Glimmen sichtbar. Nur für einen Moment glaubte sie hinter ihm eine Gestalt zu erkennen, die hasserfüllt und hämisch auf sie hinabsah. Wirres, kurzes Haar ragte unter einer Kapuze hervor. Eine Hand ruhte auf Aidans Schulter, als wollte sie ihn als ihren Besitz ergreifen. Saanza hatte diese Gestalt noch nie gesehen, aber sie wusste, dass etwas Böses von ihr ausging. „Wer bist du?“, sammelte die Jedi noch einmal alle Kraft in ihrer Stimme und kämpfte sich auf wackelige Beine. „Geh weg von ihm!“
Dann traf sie der Blick der Gestalt und mit einem scharfen Schmerz wurde Saanza wieder auf die Knie gezwungen. Der Gesang der Kultisten wandelte sich zu einer infernalischen Kakophonie und hämmerte mit der Macht der Dunklen Seite auf sie ein. Die Asche der gefallenen Kultisten wurde aufgewirbelt und bildete einen tosenden Sturm, in dessen Zentrum sich die Jedi befand. Saanza schrie, als das Gefühl von reinem Hass ihr fast den Schädel spaltete. Der dämonische Wind riss an ihrer Kleidung, ihren Haaren, kratzte wie mit Krallen über ihre Haut und versuchte selbst nach ihrer Seele zu greifen. Die Jedi kauerte sich zitternd zusammen, aber der Sturm wollte nicht abebben. Schrie und weinte, bis ihre Kehle rau wurde und sie keine Tränen mehr in ihrem Inneren fand. Sie hätte eine glückliche Ewigkeit verbringen können, ohne jemals wahres Leid zu kennen. Doch sie hatte dieses Idyll abgelehnt. Sie hätte nach all den Jahren an die Seite ihres Bruders zurückfinden können, doch sie hatte diese Möglichkeit ebenfalls abgelehnt. Nun würde das Machtgefängnis, das Darth Vesperum und Sorzus Syn gleichermaßen geschaffen hatten, keine Gnade kennen. Der dunkle Sturm würde so lange toben, bis ihr Licht verloschen war und nicht mehr als eine leere Hülle von Saanza Cyrodiell zurückblieb – dem letzten Lichtblick des Imperators.

An diesem Ort gab es keine Zeit. Ein einzelner Moment konnte ewig währen und Jahrhunderte in einem Wimpernschlaf vorbeiziehen. An diesem Ort gab es nur Schmerz. „Es soll aufhören“, flehte die Jedi mit aufgesprungenen Lippen. „Ich will, dass es aufhört“, wimmerte sie und wusste dabei nicht, ob sie den Machtsturm oder ihre eigene Existenz meinte. Ihre Eltern, die Schülerin von Byss, Lucian, Zane, Evan, Lee… Wie viele Leben mussten ihretwegen noch ruiniert werden? Vielleicht war es besser, wenn sie an diesem Ort verging. Sie selbst hatte so viel Leid erfahren und dadurch so viele andere ins Unglück gestürzt. Hatte gekämpft, sich widersetzt und war standhaft geblieben. Und wofür? Was hatte sie der Galaxis je Gutes getan? Wie lange wollte sie noch davonlaufen? „Bitte… Lass mich sterben…“ Der Tod würde eine süße Erlösung sein.
Es gibt keinen Tod, es gibt die Macht, kam ihr plötzlich der Jedi-Kodex in den Sinn. Das Credo, an dem sie sich ihr Leben lang aufgerichtet hatte. Gewiss würde es angenehm sein, in der Macht aufzugehen. Vielleicht würde sie dann auch Lucian wiedersehen… Der Gedanke an ihn war tröstlich und der Sturm, der ihrem geschundenen Körper kaum noch etwas anhaben konnte, schien sie für einen Moment weniger zu treffen. Lucian war bei ihrer gemeinsamen Flucht von Byss gestorben, um sie zu verteidigen. Evan hatte ihr auf Hilo beigestanden, kurz bevor man ihn erschossen hatte. Und selbst Lee war gefallen, weil er sie hatte retten wollen. Sie brauchen mich, erinnerte sich die Jedi an ihre eigenen Worte, die sie vor einer Ewigkeit gesprochen hatte. Wie konnte sie jetzt aufgeben, wenn so viele dabei gestorben waren, sie zu beschützen? Es war eine schreckliche Bürde – doch Saanza würde ihrem Opfer nicht gerecht werden, wenn sie sich nun einfach fallen ließ. Der Orden brauchte sie und solange sie noch lebte, gab es Hoffnung.
„Es gibt keine Gefühle, es gibt Frieden“, begann sie den Jedi-Kodex zu zitieren. Ihre Stimme war kaum hörbar und jedes Wort schmerzte, aber sie fuhr unbeirrt fort.
„Es gibt keine Unwissenheit, es gibt Wissen.
Es gibt keine Leidenschaft, es gibt Gelassenheit.
Es gibt kein Chaos, es gibt Harmonie.
Es gibt keinen Tod, es gibt die Macht.“

Wieder und wieder sprach Saanza diese Worte und versuchte, den tosenden Orkan auszublenden. Kämpfte nicht länger dagegen an und gab doch nicht auf, sondern ließ die Dunkelheit ungehindert durch sich hindurchströmen, wie Tinte in einem Fluss. Sie war das Auge des Sturms. Hier würde ihr die Dunkle Seite nicht schaden können. Nach einer kleinen Ewigkeit gelang es ihr, sich aufzurichten und in eine kniende Pose zu begeben – in sich zu ruhen. Ich muss zurück. Sie brauchen mich. Die Macht leuchtete in ihr und wärmte sie in dieser kalten, dunklen Welt. Doch da war noch etwas anderes… So wie das Licht durch das Transparistahl gedrungen war, hatte sich Dunkelheit durch die Risse in ihrem gesplitterten Verstand gestohlen. Pulste mit jedem Herzschlag durch ihre Venen, als wäre ein Teil der Lebensenergie der Kultisten an ihr haften geblieben. Eine weitere Narbe. Eine Erinnerung an diesen furchtbaren Ort. Ich muss aufwachen!
Zittrig kämpfte Saanza sich auf die Beine. Die Haare aus ihrem zerstörten Zopf flossen wie Gold um ihre Schultern. Eine Aura aus Licht hatte sich um sie gebildet, in der einige dunkle Flecken schwammen. Die violetten Augen der Jedi suchten in dem Partikelsturm nach Aidan und begegneten seinem Blick. Saanza konnte ihn nur verzerrt erkennen, doch es genügte.
„Es gibt keine Gefühle, es gibt Frieden.“ Die endlose Prozession verschwand, der Choral verstummte.
„Es gibt keine Unwissenheit, es gibt Wissen.“ Das sterbende Sternenmeer verfinsterte sich.
„Es gibt keine Leidenschaft, es gibt Gelassenheit.“ Der Thronsaal löste sich auf.
„Es gibt kein Chaos, es gibt Harmonie.“ Der Sturm legte sich.
Nun standen nur noch Aidan und sie selbst im Nichts.
„Es gibt keinen Tod“, sagte sie sanft und schloss für einen Atemzug die Augen.
Als Saanza sie wieder öffnete, war auch Aidan verschwunden.
In ihrem Herzen lag das Urvertrauen in das Licht. Sie war bereit.
„Es gibt die Macht!“
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