#68
Ein Teil von ihr wusste es schon, bevor es passierte. Ein wichtiger Teil. Doch der andere hatte es nicht für möglich gehalten, es verneint, bis zuletzt. Die Hexe würde nicht so weit gehen. Die Sephi ihrem Monster aussetzen und lüsternd betrachten, was geschehen würde. Aber es geschah, einerseits also unerwartet und andererseits überhaupt nicht. Klauen zerrten an ihrem Hals, rissen sie mit Gewalt noch näher heran und durchbohrten die Haut. Ihr Körper verlor etwas das Gleichgewicht, so dass ihre rechte Hand Halt suchte, fand ihn am Rande der geöffneten Versorgungskiste, auf den sie sich helfend abstützte. Die andere Hand tastete sich in Richtung des Dornenastes hervor, der ihr die Luft abschnitt, bis zu den Spitzen der Dornen, die sich ihr in den Hals gruben. Zwecklos versuchte sie mit ihren Fingern, einen der fünf Dornen herauszubrechen, sie loszuwerden, doch zu schwer schmiegten sie bereits in ihrer Haut, nutzten die Fetzen als Widerhaken, um nicht von ihrer Beute zu lassen. Sie rüttelte an der Schlinge, doch keine Reaktion. Einige Wörter versuchten sich in ihrem Mund zu bilden, doch heraus kam nur ein gurgelndes, unverständliches Geräusch. Ein paar Sekunden lang glitt dann sämtliche Anspannung aus ihrem Körper, ihre Schultern fielen schlaff hinab. Dieser Moment der Resignation, wenn ihr offenkundig schien, dass alles umsonst gewesen war. Bewölkt dämmerte ihre Sicht vor sich hin, die Wolken woben in ihrer Sicht ein enges Gespinst der Unschärfe, bis sie nicht einmal mehr die Konturen des Monsters vor sich erkennen könnte. Würde es so weit gehen? Möglich. Aber sollte es doch tun, was es tun muss. Irgendwann… würde es seine Handlungen bereuen, verzweifelt versuchen, die Scherben dann wieder zusammenzufügen, nicht früh genug begreifend, dass es dafür aber jetzt zu spät war. Aber dann kam noch einmal dieser eine Funke, dieser Moment des Widerstands. War es wert, sich dafür zu opfern? Für diese vage… Vorstellung? Und gleichzeitig sich gegen das zu stellen, was die Macht zu erwarten schien? Nein. Dann wurde sie nur mehr zu dem, was ihr gegenüber saß. Ihre Rechte rutschte von der Kante der geöffneten Kiste ab, tastete wild und ziellos darin umher. Da fand sie irgendetwas Schweres, Metallisches. Es spielte keine Rolle, was es war. Ihre Sicht verengte sich bereits, die Ohnmacht in verlockende Stellung gebracht, pirschend zur Jagd. Sie packte das Objekt in der Kiste und drosch es mit voller Wucht dem Monster vor ihr gegen den Schädel. Irgendetwas schien zu jaulen, aber als das Netz der Finger sich blutig ihren Hals entlangkratzte, wurde ihr klar, dass sie es selbst war. Durch die Wucht des Schlages fiel sie von ihrer sitzenden Position ungebremst zur Seite, landete auf ihrer Schulter, im Staub neben der äschernen Feuerstelle. Der würzige Duft des Holzes geriet ihr in die Nase, als sie nach Luft schnappte und instinktiv mit einer Hand als ihren Hals fasste. Feuer elektrisierte sie dabei, züngelnde Flammen in ihrem Inneren, die als Tausende heißer Nadeln brannten und ihr prägendes rotes Wundmal auf ihren Fingern hinterließ. Die quellende Flüssigkeit verteilte sich in ihrer Hand, schön wärmend wie das Feuer in der Nacht, tropfte sanft hinab in den Sand. Die langen Striemen des Hasses furchten in ihrem Hals, wo das Monster sich so bereitwillig am Lebenssaft bedienen wollte, ihn eingefordert hatte, um selbst noch funktionieren zu können. Keuchend schob sich das weiße Wesen ein paar Zentimeter nach vorne, ein paar Zentimeter Entfernung nur zum Wahnsinn, doch jede Distanz davon war Balsam. Mit kratzenden Lauten saugte sie die Luft zurück in ihre Lunge, erst dann ließ sie sich von ihrer seitwärtigen Position auf den Rücken fallen, um wieder dem Monster begegnen zu können. Doch… nichts. Es war fort. Dort lag nur ein geschundener Körper ein Stück weit neben ihr, regungslos, die blutige, hautzerfetzte Klauenhand noch gierig in ihrer Richtung, etwas daneben eine schwere imperiale Konserve. Ein paar Sekunden blieb die Sephi auf dem Rücken liegen, nichts rührte sich mehr am anderen Körper. War die Hexe…? Ihre Augen traten ungläubig aus ihren Höhlen.
„Nein…“, keuchte sie panisch. Das… das konnte, durfte nicht sein. Die Macht hatte das so nicht vorgesehen. Sie… es… unmöglich. Aber was hätte sie denn tun sollen? Es war genau diese Welle der Verrücktheit, des verstoßenen Stolzes wie er auch dem Offizier zuteil geworden war. Sie konnte sich doch nicht einfach umbringen lassen. Irgendetwas… hatte sie tun müssen, um dem Kadaver zu entgehen, der keine Zurückhaltung mehr gekannt hatte. Sich wehren müssen, so wie er es ihr selbst entgegen gepeitscht hatte. Aber… vielleicht nicht so? Unsicher hievte sie sich schwer atmend auf wacklige Beine, bereit, die paar Schritte zu machen, um den Kadaver zu betrachten – doch dann zuckte dort irgendetwas, die Hexe blinzelte einmal, starrte aber weiter ins Nichts des heller werdenden Himmels über ihr, langsame, kaum kontrollierbare Bewegungen. Doch sie lebte. Der Schlag musste sie kurzzeitig ausgeschaltet haben, doch der geschundene Körper war noch immer schwach und unwillig, lag nur benommen da.

Erleichtert hustete Sedrael etwas der so wertvollen und kostbaren Luft wieder aus. Die Macht hätte ihr das nicht verziehen. Sie wusste, die beiden sollten hier nicht zurückbleiben, es war nicht das, was geschehen sollte. Oder sie glaubte es zu wissen. Vermutlich hätte sie genau darauf vertrauen sollen, doch diese Ruhe im Angesicht des eigenen Sterbens hatte sie nicht besessen. Und wahrscheinlich würde sie es auch nie können. Es war schwer, es akzeptieren zu können – auch wenn Jedi nicht den physischen Tod als Ende betrachteten, so war ihr die Angst vor dem Sterben letztlich durchaus nicht fremd. Nicht mehr oder weniger als allen anderen auch. So wie sie eben auch in anderer Hinsicht immer nur ein Abbild vieler anderer Dinge waren. So wie das Monster auch. Womöglich kamen daher die Widersprüche, die als streitende Facetten in ihr funkelten, einige, die sich immer wieder verzweifelt Bahnen brachen, in der Hoffnung, die anderen gefügig zu machen. Doch auf Dauer ließen sich nicht alle verbergen – irgendwann entluden sie sich, schlugen zurück, ließen sich nicht mehr beherrschen. Genau wie die Sephi. Aber vermutlich… war auch dies nicht die Lehre, die die Hexe daraus ziehen würde. Wie machte man Dinge jemandem verständlich, der gar nichts verständlich machen wollte? Wahrscheinlich ging es einfach nicht. Kurz betrachtete sie den benommenen Körper unter sich, atmete weiter schwer aus und presste eine Hand gegen ihren Hals, wo der Nektar eifrig hervortrat und auf ihr Hemd hinab rann.
„Deine Gewalt macht alles kaputt“, krähte sie bitter. „Wenn du an mir zweifelst, vertraust du mir auch nicht. Und ich kann nur vertrauen, wenn du mich lässt, Reah.“
Zitternde Finger lösten sich von ihrem Hals, streckten der Hexe eine blutige Hand entgegen, so dass diese sie sehen musste.
„So machst du es mir schwer.“
Sedrael wusste nicht, was davon die Hexe überhaupt mitbekommen würde. Vielleicht alles, vielleicht nichts. Aber es musste raus. Schwer schleppte sie sich ein paar Schritte weiter, in sicherem Abstand umkreiste sie den dargebrachten Körper am Boden, wie ein Opfer für die aufgehende Sonne, als die aufziehenden Lichtstrahlen die ersten Schattenkanten zu werfen begannen, einsame Vorboten, dass der Schatten sich nun wieder verstecken musste vor der aufziehenden Erhellung, sich kauern musste vor andere Objekte, um nicht ausgelöscht zu werden, hilflos vor den versengenden Strahlen und in beständiger Gefahr, immer kleiner und unbedeutender zu werden, ehe die Sonne hoch über ihnen stand, direkt darüber und ihn somit gänzlich verschlungen hatte. Erst später traute er sich wieder hervor, kroch heraus aus seiner Höhle.
„Ich habe dir immer geglaubt. Sonst wäre ich nicht bei dir gewesen“, sagte sie dann traurig. Welch trockene Ironie. Nur weil der schleimige Brocken, der Zorn der Hexe, sich bedroht gefühlt hatte, ihr Mutmaßungen einflößte und schließlich eine Reaktion aufzwang, war nun das geschehen, was geschehen war. Eines hatte das andere ergeben – eine Spirale der Konfrontation, die jetzt das zerschlagen hatte, was mühsam versucht worden war zu errichten. Beiderseits? Es war schwer zu sagen. Aus Sedraels Sicht schien es bisher kaum vorstellbar gewesen zu sein, dass die Hexe sich dafür interessierte, ob sie ihr glaubte – bislang hatte die Frau sie stets nur wie ein kleines, unwissendes Kind behandelt. Es passte nicht zusammen, dass sie jetzt davon gekränkt war, dass das Kind eine eigene Meinung besaß, die sich nicht nach Wünschen verformen ließ.
„Und ich habe dir nie gesagt, wie du sein sollst. Dich nie zu etwas gezwungen. Meinen Planeten habe ich dir geopfert, dich hier versorgt. Aber du kannst einfach nicht loslassen von deinen Zwängen.“
Sie hatte keinen Dank erwartet, natürlich nicht. Darum war es auch nie gegangen. Aber vielleicht doch einfach etwas… mehr. Selbst das hatte sich als zu viel erwiesen. Für einen Augenblick verschwand sie in ihrem Nachtzelt, klaubte hastig ihre verbliebenen Sachen ungeordnet in einem Bündel zusammen und trat wieder ins Freie, wo sie kurz in den Horizont blickte, auf den Weg, der sie hierher geführt hatte – zumindest etwas Bekanntes, eine Konstante auf diesem unwägbaren Planeten.
„Es tut mir leid, Reah“, fuhr sie brüchig fort, legte rasch das geöffnete Medi-Kit auf ihr Bündel und wandte sich ab in die Schlucht, die vor ihr lag und zurück führte. Doch dann blieb sie noch einmal stehen, ohne zurückzusehen, senkte den Kopf und schloss die Augen.
„Du sagtest mir selbst einst, ich müsse so bleiben, wie ich bin. Und doch… möchte ein Teil von dir mich ständig ändern.“
Ihre Stimme verschwamm im aufziehenden Morgennebel, der Schritt für Schritt letztlich auch ihren Körper verschlang, bis die Konturen allmählich im Dunst des ankommenden Tages vergangen waren.
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