#4
Auf einer kleinen Insel (eine Ruderstunde abseits der Hauptinsel)

Der Mann gab sich gänzlich unbeeindruckt von dem strömenden Regen, der in dichten Schleiern über die Insel hinwegwischte und die Welt in einen brodelnden Kessel siedenden Graus verwandelte. Inzwischen kam das Wasser von unten, von oben und von den Seiten und trotz des lauten Rauschens konnte Raena das charakteristische Donnern der Wellen hören, die gegen und allmählich auch über die Dünen brandeten. Ihr Besuch aber besann sich trotz des unwirtlichen Wetters seiner Manieren und nahm seine Mütze ab, eine Geste, die ihr ein amüsiertes Schmunzeln entlockte. Der ältere Herr gehörte eindeutig einer vom Aussterben bedrohten Art an, die man gemeinhin auch als Gentleman betitelte. Gleichzeitig sagte ihr die Art und Weise, wie er sich nach ihr erkundigte, überhaupt nicht zu, was vor allem an dem autoritätsgewohnten Unterton lag. Sie hatte Zeit ihres Lebens tausende von Soldaten behandelt, vom jüngsten Rekruten zum ausgezeichneten Offizier, sie erkannte republikanisches Militärpersonal, wenn es an ihre Tür klopfte. Was nicht nur den abgenutzten, schweren Stiefeln und dem etwas in die Mode gekommenen Blaster geschuldet war, sondern auch wie er ihren Namen, als sie nicht sofort antwortete, noch einmal wiederholte. Dieses Mal in einem Ton, den ein Medic Kollege von ihr gerne halb belustigt, halb genervt als Offiziers-Bariton bezeichnet hatte. Ein republikanischer Offizier. Bei diesem Wetter. Vor meiner Tür. Kein medizinischer Notfall. Sie musste keine Hellseherin sein, um zu wissen, dass sein Anliegen ihr nicht gefallen würde. Immerhin hatte sie ihren Dienst für die Allianz der Rebellen, den sie nie ganz offiziell angetreten hatte, in just jenem Augenblick quittiert, als sich aus dem zwar gut organisierten, aber über die ganze Galaxie versprengten Haufen einzelner Widerstandsbewegungen die Neue Republik gebildet hatte. Das man ihr nun einen republikanischen Offizier schickte, konnte nur bedeuten, dass auch der Grund für sein Hiersein republikanischer Natur war – und eigentlich war ihr daran gelegen, soviel Distanz wie nur irgendwie möglich zwischen sich und die Neue Republik zu bringen.

„Das bin ich“, bestätigte sie schließlich höflich, wenn auch mit hörbarer Reserviertheit. Sie sah keinen Sinn darin ihrem unerwünschten Gast irgendetwas vorzutäuschen, er würde schnell genug herausfinden, dass ihre Entscheidung der Neuen Republik nicht zu dienen kein halbherziger Kompromiss, sondern eine begründeter Beschluss gewesen war, den sie nicht revidieren würde. Gleichzeitig konnte sie ihn unmöglich von der Schwelle weisen, sowohl weil sie als Medic wahrscheinlich über mehr Erfahrung im Umgang mit der berühmt berüchtigten Hartnäckigkeit altgedienter Rebellen verfügte als jeder andere, als auch weil es für ihn, solange der Sturm tobte, keinen Rückweg zu der Hauptinsel gab. Außerdem sah der Mann müde aus, womöglich erschöpft von einer langen Reise oder schlichtweg den Jahren seines Lebens. Daher machte sie einen Schritt zur Seite und gab ihm mit einem universellen Wink ihrer Hand zu verstehen, dass er doch bitte aus dem Regen in das trockene und vor allem warme Innere treten sollte, zum ersten Mal ein aufrichtiges Lächeln auf den Lippen. „Der Sturm kann mehrere Stunden andauern und bevor er vorbei ist, ist an ein Fortgehen nicht zu denken. Ich würde daher vorschlagen sie schlüpfen aus ihren nassen Sachen, während ich ihnen einen trockenen Pullover hole und uns beiden eine Tasse Tee aufkoche. Danach können sie mir in aller Ruhe erzählen, warum sie hier sind, Colonel…?“

„General Neen“, korrigierte der Mann brüsk, sichtlich stolz auf seinen Rang. Beinahe hätte er die flache Hand zum militärischen Gruß an die Schläfe gehoben, fing die Bewegung jedoch gerade noch rechtzeitig ab: "Major General Alec Neen.“ Zwar wirkte er aufrichtig dankbar dem kalten Nass zu entkommen, machte jedoch gleichzeitig keinerlei Anstalten ihrer Aufforderung nachzukommen und sich seiner tropfenden Stiefel und des durchgeweichten Pullovers zu entledigen. Wahrscheinlich behagte es ihm nicht ihrem Angebot trockener Kleidung nachzugeben und es sich bequem zu machen, ob nun aus altbackener Prüderie (sich einer weiblichen – und im schlimmsten Fall auch noch jungen und hübschen - Medic in nicht mehr als Hose, Socken und dünnem Unterleibchen zu präsentieren hatte schon so manchen hochgradigen Veteranen in Verlegenheit gebracht) oder weil er Wert auf respektable Distanz legte. Es war ihr einerlei, ihre Wohnung war sauber und sollte es trotz des unerwarteten Besuchs auch bleiben, einmal ganz davon abgesehen, dass der Überzug ihrer Couch nicht aus feuchtigkeitsabweisendem Material bestand und ein Muster aus Wasserflecken nicht zum Rest ihrer spartanischen, fast schon sterilen Einrichtung passte. Wenn man zwanzig Jahre lang ständig unterwegs war, immer bereit jeden Moment die Flucht zu ergreifen, lernte man auf häusliche Aspekte zu verzichten. Leider kehrten sie auch nicht zurück, wenn man das Nomadendasein erst einmal hinter sich gelassen hatte, weshalb die Hütte, die sie immerhin schon eine ganze Weile bewohnte, noch immer mehr einer Ferienwohnung ähnelte, als einem wirklichen Dauerheim. Die einzige persönliche Note war ein flackerndes Holobild an der Wand, auf welchem ein halbes Dutzend lachender junger Medics, unter anderem auch Raena, abgelichtet waren.

Mahnend wies diese nun mit ausgestrecktem Finger auf die kleinen Lachen, die sich langsam unter General Neens Stiefeln bildeten und wiederholte ihre Forderung mit der mütterlich mahnenden Geduld einer erfahrenen Medic, die einen besonders störrischen Patienten behandelte: „Sie dürfen gerne die nächsten Stunden direkt hier vor meiner Tür stehen bleiben, General. Ich für meinen Teil werde diesen fürchterlichen Sturm vor der Wärme meines Kamins aussitzen.“ Womit sie sich von ihm abwandte, den Schal erneut etwas fester um ihre Schultern zog und die kleine Küche im angrenzenden Raum ansteuerte: „Wenn sie sich zu mir gesellen möchten, rechts von ihnen steht ein Heizkörper. Hängen sie ihren Pullover und ihre Mütze darüber und stellen sie ihre Stiefel darunter.“
Es dauerte nicht lange den Tee aufzubrühen und aus ihrer Kleidertruhe, in dem winzigen Schlafzimmer nebenan, einen alten, ausgewaschenen Pullover auszugraben, der sie ihrem Gast ausleihen konnte. Als sie in den Wohnraum zurückkehrte, wo sich eine offene Feuerstelle, eine milchweiße Couch mit einer Kiste als Abstellmöglichkeit und ein kleiner, runder Tisch mit einem Stuhl aneinanderdrängten, stand ihr Besuch längst – brav in (roten, gestrickten) Socken und (langärmeligem) Unterhemd – vor dem Kamin und hielt seine Hände über die Flammen. „Hier.“ Sie reichte ihm die trockene Kleidung und stellte das Tablett mit den Teetassen auf dem improvisierten Salontisch ab, ehe sie ganz ungeniert Platz nahm und die Beine übereinander schlug – und grüne, gestrickte Socken hervorblitzen ließ. Sie fühlte sich von ihm nicht in ihrer Privatsphäre verletzt und seine Anwesenheit empfand sie auch nicht als unangenehm, sie war lediglich unnötig. Aber das würde er früh genug selber erkennen. Entspannt deutete sie auf den Platz neben sich und lächelte ihn einmal mehr an: „Setzen sie sich bitte und dann sagen sie mir, was sie heute zu mir geführt hat.“
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