#65
Die eigene Sterblichkeit, ein zwangsläufiges Konzept. Und doch eines, über das sie nur selten nachgedacht hatte. Sie war die Spielerin mit dem Tod, das brachte ihr Beruf mit sich. Folter konnte Tod bedeuten, wenn sie unachtsam durchgeführt wurde. Manchmal musste dies in Kauf genommen werden, um Informationen im Krieg gegen die Terroristen zu erlangen. Aber es war immer nur um den Tod anderer gegangen, nie um den ihren. Ysanne Isard spürte noch immer diesen eigenartigen Phantomdruck in ihrem Körper, als die wahnsinnig gewordene Inquisitorin sie attackiert hatte. Eine... völlig irrationale, törichte Idee. Hatte eine jämmerliche Inquisitorin, ganz unten in der harten Nahrungskette des Inquisitorius, wirklich erwartet, die Chefin des mächtigsten Apparates des Imperiums herauszufordern? Das Ungeziefer hatte den Preis für diese Anmaßung, diese Arroganz umgehend zahlen müssen. Oder jedenfalls die Anzahlung erhalten, solange es noch diesen kleinen Funken an Restwert haben mochte. Der Rest folgte im Anschluss. Wut stieg in ihr auf. Niemand stellte sie bloß. Wer es tat, starb. Es war eine simple Konsequenz, die logische Folge. Ein ehernes Gesetz, an das sich jeder halten musste. Bislang war das jedem auch bewusst gewesen – nun schien es anders. Das Exempel, das ihre schwarze Garde daraufhin statuiert hatte, war nur ein wenig Genugtuung gewesen. Doch immerhin etwas. Aber die Gier nach mehr Genugtuung war ungestillt. Keiner sollte es jemals wieder wagen.

Surrend scannte der Medi-Droide gerade ihren Brustkorb mithilfe eines faustgroßen Geräts ab, die metallische Greifhand nur knapp über dem weißen Unterhemd unter ihrer blutroten Uniform. Sie ignorierte dessen bewegungslose Fratze, blickte lediglich abwesend die helle Wand des Raums an. Sie merkte, wie ihr Blick gerade starrend war, viel zu selten von einem Blinzeln unterbrochen. Andere starben, sie nicht. Sie war unantastbar gewesen. Und plötzlich fühlte sie sich doch verwundbar. Es galt, die richtigen Konsequenzen hieraus zu ziehen. Einfache Konsequenzen. Klare Konsequenzen. Diese schienen vergleichsweise simpel: Die Inquisitoren mussten sterben. Jeder von ihnen. Sie waren zu unvorhersehbar geworden seit dem Tod Palpatines, nicht mehr zu kontrollieren. Vesperum hatte sie nicht im Griff. Deren Untergang ließ sich einrichten, würde aber seine Zeit und Vorbereitung benötigen, um es nicht sichtbar werden zu lassen. Isard zweifelte daran, dass der Imperator sich sein Spielzeug freiwillig nehmen ließ, dann musste man es ihm eben auf Umwegen nehmen. Aber es war notwendig. Irgendwann waren alle diese Zauberer endlich aus dem Imperium getilgt. Bis auf einen. Vorerst.

Die Tür der Sanitätsabteilung schoss nach oben hin auf. Hinein trat die schwarze Uniform von Agent Traggis, der bis an Liege herantrat, auf der Isard selbst lag. Etwas zu nah für ihren Geschmack. Sie nahm den leeren Blick nicht von der Wand. Der Mann räusperte sich kurz, als wolle er ihrer Aufmerksamkeit gewisse sein. Sie machte nur eine knappe Handbewegung mit dem rechten Zeige- und Mittelfinger.
„Der Arzt sagt, die Betäubung ist sicher“, begann der Agent zufrieden. „Sobald wir das Tier vom Schlauch nehmen, bleibt es immer noch ein paar Stunden bewusstlos. Zeit genug also, es auf den Planeten zu bringen.“
Sie nickte zunächst nur. Dass Traggis die Inquisitorin als Tier bezeichnete, war ihr nicht neu, es befriedigte sie nun in gewisser Form sogar. Und alles in allem war der Inquisitorius auch nicht viel mehr als das: ein Käfig voller Raubtiere, die von ihren Dompteuren im Zaum gehalten wurden, aber auch werden mussten. Und hin und wieder gab es... Zwischenfälle, wenn sie vergaßen, wer ihre Herren waren. Am Ende erschoss man aber immer das Tier und nicht den Dompteur. So sollte es auch dieses Mal sein.
„Traggis, Sie gehen mit dem Schiff nach Korriban“, entgegnete sie nach ein paar Sekunden, ihre Stimme etwas matter als für gewöhnlich, obwohl sie sich Mühe gab, diesen Anschein nicht zu erwecken. Niemals Schwäche zeigen. Sonst passierten genau solche Dinge. Niemand wagte es allein, den Starken anzugreifen, angegriffen wurde der Schwache. Aber woher immer die Kraft nehmen? Aus dem Überlebenswillen heraus, vielleicht. Doch das war womöglich nicht genug. Aus der Schwächung anderer musste es sein. Weniger Stärke war erforderlich, je schwächer der andere war.
„Und geben Sie der Frau die Botschaft mit, dass sie nicht so wichtig ist wie sie es gerne hätte. Ihnen fällt dazu sicher etwas ein. Falls sie nach ihrer Aufgabe zu uns zurückkriecht, brechen Sie sie noch einmal ganz von vorne. Das Wenige, was dann übrig bleibt, kann noch nützlich sein. Falls sie gar nicht erst kooperiert, liquidieren Sie sie direkt vor Ort.“
„Mit Vergnügen, Direktorin.“
„Ich gebe Ihnen TX-17 und seine Männer dafür mit. Das wird die Sache vereinfachen.“
Traggis' Gesichtszüge verfinsterten sich sichtlich. Sein Kopf drehte sich ein Stück zur Seite in Richtung der Tür, an der die schwarz gepanzerte Gestalt in aller Ruhe regungslos stand.
„Mein Trupp bekommt das auch alleine hin“, brummte der Agent als Antwort, ohne seinen Blick von der Schattensturmtruppe zu nehmen. Der Helm bewegte sich einige Zentimeter seitwärts. Ein leises Geräusch unter der schwarzen Fratze schien im Helm unterdrückt zu werden.
„Vermutlich“, entgegnete sie seufzend. „Allerdings reduziere ich gerne das Risiko, soweit möglich.“
Ein Augenrollen seinerseits. Doch keine Widerworte, nur ein gedrungenes Nicken. Akzeptabel. Es sprach für Initiative, dass der Mann sich seine Beute nicht entgehen lassen wollte. Ambition war in diesem Apparat wenigen vorbehalten, die meisten funktionierten lediglich, wissend um den Dreck, den sie aufwirbelten. Auf der anderen Seite war diese Ambition somit eine Abweichung, die sie im Kollektiv des Geheimdienstes nicht gerne sah. Außerhalb von sich selbst. Aber sie konnte es sich leisten. Er nicht. Vielleicht noch nicht. Und vielleicht auch niemals, wenn er es nicht korrigierte. Blicke wie dieser waren in der Situation wie Speere, die auf ihre Person gerichtet waren. Eine paranoide Wahrnehmung vielleicht, aber war sie deswegen falsch? Nein, letztes Mal hatte sie die Gefahr auch nicht erkannt. Sie musste achtsamer werden. Noch achtsamer.

Der Scanner an ihrer Brust piepte kurz, andeutend dass die Untersuchung fertig war. Sie schob die metallene Droidenhand von sich weg und ignorierte den 2-1B-Droiden, der dies als Aufforderung zu schweigen verstand. Isard setzte sich auf, blickte auf die schwarze Gestalt an der Tür.
„Ich verlasse mich darauf, dass Sie das dann regeln, TX-17.“
„Nigidus ist dieses Mal gewarnt“, entgegnete ihr der Offizier hinter dem Vocoder-Helm. „Ich brauche fünf Mann. Dann garantiere ich Ihnen einen Erfolg.“
Alle wollten sie mehr, natürlich. Mehr Männer, mehr Posten, mehr Material, mehr Geld. Es war immer das gleiche Spiel. Und alle stellten es sich immer so leicht und problemlos vor. Als wäre ihr individuelles Problem immer das wichtigste von allen. Tausende wichtigste Probleme jeden Tag, jeder aus seinem verengten Blickfeld. Die Direktorin schüttelte mehrfach den Kopf, während sie die Uniformjacke langsam wieder schloss.
„Ich sagte bereits, dass das nicht möglich ist. Cronal wird irgendwann skeptisch, wenn ich immer neue Männer von ihm abziehe. Sie bleiben zu dritt. Es wird Ihrem Nebenverdienst sicherlich nicht schaden, wenn Sie Erfolg haben.“
„Dann müssen Sie mit einem Risiko leben.“
Isard lächelte den Helm an. Das Lächeln ohne Freude. Das gefährliche Lächeln, auch wenn es keine Bedrohung mit sich führte. „Dann lässt es sich hier eben nicht reduzieren. Ein Scheitern wäre aber weniger mein Problem als Ihres. Ein fairer Ansporn also.“
Der Mann antwortete nicht. Was hätte er auch erwidern sollen. Ihr Lächeln wurde innerlich breiter und ehrlicher, stieß aber nicht mehr nach außen. Selbst wenn er scheitern sollte, machte das im Grunde kaum einen Unterschied. Mit der Jedi und dem Angriff auf Vaash hatte sie ihrer Glaubwürdigkeit ihr eigenes Grab geschaufelt, so dass sie sagen konnte, was sie wollte. Keiner würde ihr mehr zuhören. Die Frau konnte ihr nicht mehr gefährlich werden, sie war erledigt. Es war nur eine Frage der Zeit. Allerdings entfernte Isard auch gerne alle noch offenen Fäden.
„Was ist mit der Jedi?“, fragte Traggis schließlich, der sich nach ihrem Aufsetzen doch zumindest ein paar Schritte entfernt hatte. Besser. Isard winkte lediglich kurz ab. Natürlich hätte sie die Jedi an Vesperum ausliefern können, aber das Einzige, wozu das geführt hätte, wäre bestenfalls, dass er sie in ein weiteres dieser Machtbiester unter seiner zweifelhaften Kontrolle umwandelte. Das war nicht in Isards Interesse. Eine andere Verwendung erschien sinnvoller.
„Die wird keinen Ärger machen. Geben Sie sie Nigidus als Anreiz mit, damit sie ihren Auftrag ausführt. Danach...“, begann sie, stoppte aber dann kurz. „Vielleicht können wir sie in Zukunft noch als Druckmittel gegen Skywalker brauchen. Sollte es sich einrichten lassen, bringen Sie sie zu mir nach Lusankya. Andernfalls beseitigen Sie auch sie. Die Priorität ist aber Nigidus. Sie haben alle Freiheiten dafür.“
Ihr Aufenthalt lief nicht so wie geplant – anstelle zu kooperieren, hatte sich ihr Ziel für den harten Weg entschieden. Sie hatte schlichtweg nicht erwartet, dass eine armselige, noch dazu weitgehend frische Inquisitorin ihr wirklich die Stirn bieten würde. Nun, sie hatte sich getäuscht. Ein gefährlicher Irrtum. Und es hätte ihr letzter Fehler sein können. Das würde nicht noch einmal geschehen. Schweigend bestätigte sie diesen Schwur mit einem Nicken.
„Sie können gehen. Ich werde wieder ins Zentrum zurückkehren. Es gibt einige Dinge, die ich klären muss.“


--> Nach Korriban (Einöde von Korriban, S. 5)
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